Abtreibungsdiskussion in Brasilien – Bischöfe in der Kritik

Quelle: FSSPX Aktuell

Die Abtreibungsdebatte in Brasilien ist in vollem Gange, seit der Oberste Gerichtshof mit der Prüfung einer von der Linken eingereichten Klage begonnen hat. Ein Teil der konservativen Christen wirft dem Episkopat vor, der Debatte erst den Weg bereitet zu haben, indem er das derzeitige Staatsoberhaupt, das im Oktober 2022 gewählt wird, unterstützte. Gegen diese Vorwürfe wehren sich die brasilianischen Prälaten.

In Brasilien, dem nach Bevölkerungszahl derzeit größten katholischen Land der Welt, ist der “freiwillige Schwangerschaftsabbruch” (Abtreibung) nur in drei Fällen “gesetzlich erlaubt”, nämlich wenn eine Schwangerschaft das Ergebnis einer Vergewaltigung ist oder wenn sie das Leben der Mutter gefährdet oder wenn das ungeborene Kind eine sehr schwere Missbildung hat. 

2017 reichte die linke Partei des Sozialismus und der Freiheit (PSOL), beim Obersten Gerichtshof des Landes eine Klage ein, in der sie geltend machte, dass die Kriminalisierung der Abtreibung gegen die verfassungsmäßigen Rechte der Frauen verstoßen würde. Das Gericht begann am 23. September 2023 mit der Prüfung der Klage.  

In der Klageschrift wird die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs bis zur zwölften Woche gefordert. Bisher konnte nur einer der elf Richter abstimmen, da die Sitzung auf Antrag eines Richters unterbrochen und auf einen späteren Zeitpunkt vertagt wurde. Rosa Weber, die nach dem 30. September 2023 von ihrem Amt als Präsidentin des Obersten Gerichtshofs zurücktrat, gab bekannt, dass sie sich für die Entkriminalisierung ausgesprochen hatte.  

Die Debatte ist in jedem Fall angeheizt und erreicht auch die Brasilianische Bischofskonferenz (CNBB). Ihr wird vorgeworfen, indirekt den Weg für die Klage geebnet zu haben, indem sie Präsident Luis Lula Da Silva, der aus dem Duell gegen Jair Messias Bolsonaro als Sieger hervorging, unterstützte: „Ihr Bischöfe habt das L gemacht“, wetterten viele Internetnutzer in Anspielung auf einen Ausdruck, der die Unterstützung für Lula bedeutete. 

Dieser Vorwurf wird vom Episkopat zurückgewiesen, der „seine Ablehnung der Abtreibung immer wieder deutlich gemacht hat“, erwidert Bischof Reginei Jose Modolo aus Curitiba, der die Bioethikkommission der CNBB leitet, und: „Dieses Thema mag je nach Zeitpunkt weniger akut gewesen sein. Aber die Hierarchie hat immer das moralische Argument für ihre Haltung gegen Abtreibung hervorgehoben.“ 

Lenise Garcia, führende Vertreterin der Pro-Life-Bewegung in Brasilien, sagte: „In diesem konkreten Fall hat die Bundesregierung nichts mit dem Prozess der Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs zu tun; der Fall hätte sich auch zur Zeit der Bolsonaro-Regierung ereignen können und der alte wie der neue Präsident hätten nichts tun können, um den Obersten Gerichtshof zu kontrollieren.“ 

Wenn die Bischöfe auch nicht formell „das L gemacht“ haben, so haben sie es doch zumindest angedeutet. Am 8. November 2022, am Vorabend der zweiten Runde der Präsidentschaftswahlen, weigerte sich der Generalsekretär der CNBB zwar, sich für oder gegen einen Kandidaten auszusprechen, forderte die Gläubigen jedoch auf, ihre Stimme dem Kandidaten zu geben, der „Demokratie, soziale Gerechtigkeit und ein brüderliches Zusammenleben predigt“. Das kann nur als eine offensichtliche Wahlempfehlung für Lula gewertet werden. 

Darüber hinaus hatten einige brasilianische Geistliche am Abend des Sieges des linken Kandidaten einen lobenden Brief an ihn geschrieben, in dem sie ihm zu seinem „denkwürdigen Wahlsieg“ gratulierten und „mit der Mehrheit des brasilianischen Volkes die Freude über den Triumph der Hoffnung in einer so dunklen und schwierigen Zeit“ teilten. 

Es ist nicht abwegig anzunehmen, dass die bischöflichen Stellungnahmen zugunsten des derzeitigen brasilianischen Staatschefs, der für seine fortschrittliche Ausrichtung bekannt ist, die Abtreibungsdebatte zwar nicht direkt in den Vordergrund der Öffentlichkeit gerückt haben, aber zumindest einen günstigen Kontext geschaffen haben. 

Laut einer aktuellen Umfrage des Datafolha-Instituts lehnen 52 Prozent der Brasilianer Abtreibungen ab, und für Oktober sind im ganzen Land zahlreiche Demonstrationen für das Lebensrecht des ungeborenen Kindes geplant. „Wir müssen dem Obersten Gerichtshof zeigen, dass das brasilianische Volk Abtreibung ablehnt“, schloss der Sekretär des CNBB. Wohl in der frommen Hoffnung, dass es nicht längst zu spät ist.