Augenzeugen berichten: beunruhigende Zustände auf Haiti

Quelle: FSSPX Aktuell

„Die Situation ist erschreckend“, sagte Marcella Catozza, eine Franziskanerin, die seit Jahren in Haiti seelsorgerisch und karitativ tätig ist, dem Fidesdienst. Wohl auch deswegen, weil mehrere tausend Häftlinge aus den beiden größten Gefängnissen Haitis in Port-au-Prince nach Angriffen bewaffneter Banden geflohen sind. Die Regierung verhängte den Ausnahmezustand und verhängte bis Mittwoch eine Ausgangssperre.

Banden hatten am Wochenende das Gefängnis Croix des Bouquets und die Nationale Strafanstalt angegriffen, in der 3.696 Häftlinge eingesperrt waren, wie Arnel Rémy, Generalkoordinator des Collectif des avocats pour la défense des droits de l'Homme (CADDHO), berichtete. 

Nach einem Besuch vor Ort schätzt ein Team des Kollektivs, dass nur noch etwa 100 Gefangene übrig sind und dass fast 3.600 von ihnen entkommen sind. Darunter „berüchtigte Banditen, Bandenchefs, Polizisten, die im Zusammenhang mit der Ermordung von Präsident Jovenel Moïse verhaftet wurden“, so Arnel Rémy. „Es herrscht Chaos, Unordnung und Terror in Port-au-Prince.“

Alle Flughäfen gerieten unter die Kontrolle von Gangs 

„Die Banden stürmten alle Flughäfen des Landes, um Premierminister Ariel Henry zu verhaften, der aus Nairobi zurückkehrte, wo er das Abkommen über die Entsendung einer kenianischen Polizeitruppe nach Haiti unterzeichnet hatte. Die Banden griffen mehrere öffentliche Gebäude - darunter auch Gefängnisse – und private Gebäude an, darunter das katholische Krankenhaus St. Francis de Sales in Port-au-Prince.“  Ariel Henry konnte übrigens noch nicht in das Land zurückkehren, da die Sicherheitsbedingungen nicht gegeben sind. 

„Die hervorzuhebende Tatsache, ist die, dass diese Banden, die sich bis letzten Donnerstag noch gegenseitig bekämpften, am Freitag ihre Kräfte vereint haben, um die Institutionen anzugreifen“, erklärt Schwester Marcella. Es war der Anführer der Gruppierung G9, Jimmy Chérizier, genannt „Barbecue“, der zur Einheit der Gangs aufrief“, erinnert die Ordensfrau. 

„Aber ich glaube nicht, dass „Barbecue“ das Gehirn hinter all dem ist. Es gibt einen politischen Kopf, vielleicht der gleiche, der 2021 die Ermordung von Präsident Jovenel Moïse in Auftrag gegeben hat“, erklärt Schwester Marcella. 

Es ist zu berücksichtigen, dass die Banden mit hochentwickelten Waffen und Hilfsmitteln ausgestattet sind, ganz zu schweigen von Macheten, und sogar über Drohnen verfügen, um die Bewegungen der Polizei zu erfassen, die anscheinend nicht in der Lage ist, sie aufzuhalten. 

Wer könnte ein Interesse daran haben, Haiti zu destabilisieren? Darüber kann man im Moment nur spekulieren, sagt die Nonne. „Seit einiger Zeit wird die Präsenz von mindestens fünf mexikanischen Drogenkartellen im Land registriert. Diese könnten darauf aus sein, Haiti zu einem Niemandsland zu machen, um ihren Kokainhandel nach Nordamerika und Europa besser steuern zu können.“ Da Haiti im Zentrum der Karibik liegt, „ist es ein idealer Transitort für Kokain aus Kolumbien und Mexiko in die reichen Märkte des Westens“, erklärt Schwester Marcella. 

„Schließlich, aber das ist nur ein Gerücht, das ich gehört habe, spricht man von einer möglichen Beteiligung des ehemaligen Präsidenten Aristide, der 2010 nach Haiti zurückgekehrt ist. Aber ich wiederhole, dass dies nur ein Gerücht ist“, schloss sie.