Die Heiligkeit der Kirche (7): Die Tugend der Liebe - 2

Quelle: FSSPX Aktuell

Der heilige Vinzenz von Paul

Im vorherigen Artikel haben wir gesehen, dass die Nächstenliebe vor allem die Liebe zu Gott ist, aber auch, dass sie nicht wirklich sein kann, wenn sie sich nicht auf den Nächsten erstreckt. Die Liebe zu Gott, die man nicht sehen kann, zeigt sich in der Liebe zum Nächsten, der dazu berufen ist, an der göttlichen Liebe teilzuhaben.

Die Liebe zu den Rechtschaffenen 

Die wohlgeordnete Liebe richtet sich zuerst an den von Gott am meisten geliebten Nächsten, nämlich an die Heiligen selbst, ob sie nun auf der Erde leben oder bereits im Himmel sind. In diesem Sinne kann es keinen Heiligen geben, der nicht die Jungfrau Maria liebt, die von Gott am meisten geliebte menschliche Person und daher mehr als jedes andere Geschöpf würdig, geliebt zu werden. 

Genau in diesem Sinne ist die Verehrung der Jungfrau Maria ein Zeichen der Prädestination, da sie auf die wichtigste christliche Tugend, die Liebe, hinweist. Man ist sogar in Verlegenheit, Beispiele für eine solche Hingabe unter den Heiligen auszuwählen, die darin wetteiferten, eine so tiefe Liebe zur Jungfrau zu zeigen. 

Die Liebe zu den Gerechten im Himmel ist eine Hingabe an die Heiligen selbst, die bereits erlöst sind, in der Gemeinschaft des einen gemeinsamen Gutes, Gott selbst. Denken wir an die Liebe des heiligen Ambrosius zu den Reliquien der Märtyrer, die er nach dem von den alten Christen erlernten Brauch geehrt und in Pracht beerdigt sehen wollte. 

Denken wir an jene Heiligen, die schon zu Lebzeiten mystische Beziehungen oder tiefe Verehrung mit den Bürgern des Himmels pflegten: der heilige Eduard von England mit dem Evangelisten Johannes, die heilige Teresa von Avila mit dem heiligen Joseph, der heilige Johannes Chrysostomus mit dem Apostel Paulus... 

Aber die Liebe zu den Gerechten ist auch die Sorge um die besten Seelen hier auf Erden: Selbst in der großen Vielfalt der Missionen einzelner Heiliger, die ein facettenreiches Spiegelbild der Einfachheit der göttlichen Liebe sind, haben sich die Heiligen vor allem um die Seelen gekümmert, die Gott in ihrem Wunsch nach Vollkommenheit am nächsten stehen. 

Aus diesem Grund haben so viele Heilige religiöse Orden gegründet und weise Regeln und Anweisungen für die Nachfolge Jesu Christi auf dem Weg der evangelischen Räte gegeben. Andere haben diese Orden reformiert oder sich damit beschäftigt, wahrhaft heilige Priester auszubilden oder die christlichen Seelen durch geistliche Führung oder durch die Gründung von Schulen und Bildungswerken zur Beharrlichkeit zu ermahnen. 

Die Liebe zu den Sündern 

Der Eifer der Heiligen gegenüber denjenigen, die zwar fähig waren, Gott mit Liebe zu lieben, und vielleicht sogar getauft waren, aber dennoch fern von den Geboten lebten, war eine Manifestation der Liebe, die jenes Gut verbreiten will, das auch dann ungeteilt bleibt, wenn es unter vielen geteilt wird. 

Der Geist des Heiligen Herzens und des Guten Hirten des Evangeliums trieb die Heiligen dazu, nach den verlorenen Schafen zu suchen, um sie zur Buße zu führen, wobei sie ihnen auch die konkreten Mittel zur Erlösung an die Hand gaben. 

Die Bußpredigt zeichnete Persönlichkeiten wie den heiligen Vinzenz Ferrer oder den heiligen Bernardin von Siena aus, die ganze Bevölkerungen zur Bekehrung führten. Selbst in ihrer Strenge gegenüber dem Bösen zeigte sich ihre Liebe zu den Seelen, die sie vor der Verdammnis bewahrt sehen wollten. 

Der Beichtstuhlbesuch des heiligen Pfarrers von Ars ist ein leuchtendes Beispiel für die ständige Bereitschaft, den barmherzigen Gott auf Erden zu vertreten, der die Sünder unaufhörlich dazu aufruft, ihn zu lieben. Kein Mensch war ohne Hoffnung auf Erlösung für diese großen Beichtväter, die wussten, wie sehr Gott seine Geschöpfe liebte: Selbst Verbrecher wurden von den Heiligen geliebt und betreut, wie das Beispiel des heiligen Joseph Cafasso zeigt, der die Verurteilten zum Galgen begleitete. 

Der Eifer wahrer Hirtenliebe war auch der Eifer heiliger Bischöfe wie des heiligen Karl Borromäus, die nicht zögerten, die heiligen Kanones in ihrer ganzen Strenge anzuwenden, damit Sünde und Skandal sich nicht unter dem Klerus und den ihnen anvertrauten Menschen ausbreiteten. 

Nächstenliebe gegenüber Nicht-Katholiken 

Selbst gegenüber denen, die den Glauben verloren oder nie gehabt haben, wie Heiden, Juden oder Häretikern, haben die Heiligen alle Aspekte der göttlichen Liebe gezeigt. Wir denken zunächst an die großen Missionare, die keine Nachteile fürchteten, solange Christus bekannt war und von allen geliebt wurde. 

Die apostolische Arbeit des heiligen Franz Xaver oder anderer, die als Märtyrer ihr Blut für die Predigt vergossen, hat außerhalb der Kirche kein Äquivalent. Der missionarische Eifer des Katholizismus ist vielleicht eines der schönsten Zeichen jener Liebe, die nur die wahre Kirche besitzen kann und die (zum Beispiel) die östlichen Schismatiker nie auch nur annähernd erreichen konnten. 

Gegenüber Häretikern ist die missionarische Liebe des heiligen Franz von Sales bekannt, der mit äußerster Sanftmut Zehntausende zur Kirche zurückführte; vor ihm hatte der heilige Dominikus, bewaffnet mit Armut und Lehre, der Propaganda der Katharer die Stirn geboten und in ihm das wahre Leben nach dem Evangelium widergespiegelt. Die Werke der heiligen Lehrer selbst entspringen der Nächstenliebe, um den Glauben zu begründen und die Perversion der Lehre zu verhindern. 

Selbst die Heiligen, die sich militärisch oder gerichtlich mit Häretikern und Ungläubigen auseinandersetzen mussten, taten dies aus wahrer Nächstenliebe: Es war die Liebe, die auch Johannes von Capistran oder Pius V. dazu brachte, große militärische Expeditionen zu leiten oder zu organisieren, die Liebe zu den Seelen, die durch das zerstörerische Wirken der Feinde der Kirche gefährdet waren. 

Die Heiligen, die Ketzerei und Schisma vor den Gerichten der Kirche bekämpften und dafür sogar ihr Blut gaben, wie der heilige Petrus von Verona gegen die Katharer oder der Heilige Josaphat gegen die östlichen Schismatiker, waren von einem ähnlichen Geist beseelt. 

Materielle Nächstenliebe 

Es gibt keinen Heiligen, dem es nicht am Herzen lag, die materiellen Bedürfnisse seiner Mitmenschen zu befriedigen, indem er den Geboten und dem Beispiel des Erlösers folgte. Die Werke der körperlichen Barmherzigkeit sind eines der klarsten apologetischen Argumente für die Heiligkeit der Kirchenmitglieder, das von jedermann gelesen werden kann. 

Es wäre unmöglich, die Beispiele für die Liebe der Heiligen zu den Armen und Kranken zu erschöpfen. Seit dem Verkauf des Vermögens der römischen Kirche zugunsten der Armen durch den Archidiakon St. Laurentius und den Mantel von St. Martin erhellt eine lange Spur guter Werke das Leben der katholischen Kirche. 

Die Krankenhäuser der Heiligen Elisabeth von Ungarn, des Heiligen Johannes von Gott und des Heiligen Kamillus, die Waisenhäuser des Heiligen Hieronymus Emilianus, die unzähligen Werke der Nächstenliebe des Heiligen Vinzenz von Paul, die liebevolle Fürsorge für die Bettler durch den Heiligen Johannes von Kenty oder den Heiligen Thomas von Villeneuve. 

Die Schulen für arme Kinder von San Giuseppe Calasanz und Don Bosco; die Monti di Pieté zur Rettung der Menschen aus den Klauen des Wuchers, die im 15. Jahrhundert von den seligen Michele Carcano und Bernardin de Feltre gegründet wurden; kein Bereich der menschlichen Bedürfnisse ist dem Wirken der Heiligen entgangen. 

Viele von ihnen zögerten nicht, sich den Gefahren des Lebens oder der Ansteckung auszusetzen, um den Kranken zu helfen. Es ist bekannt, dass sich der heilige Ludwig von Gonzaga mit der Pest infizierte, als er den Kranken Linderung verschaffte, ohne sich selbst zu schonen. 

Die Nächstenliebe gegenüber den Feinden 

Das höchste Zeichen der evangelischen Liebe ist die Liebe zu denen, die uns schaden, nach dem Beispiel des Erlösers. Eine solche Tat übersteigt die menschlichen Kräfte und zeugt vom Eingreifen der Gaben des Heiligen Geistes. 

Alle Märtyrer seit dem heiligen Stephanus vergaben ihren Verfolgern und wünschten sich für sie das gleiche selige Schicksal, in das sie eintraten. Dies war der Fall der heiligen Maria Goretti (1890-1902), die auf dem Sterbebett, als sie von ihrem Angreifer sprach, zu ihrer Mutter sagte: „Um Jesu willen vergebe ich ihm; ich möchte, dass er mit mir in den Himmel kommt.“ 

Der heilige Johannes Gualbertus, von der Gnade getrieben, vergab dem Mörder seines Bruders, an dem er nach damaligem barbarischem Brauch Gelegenheit gehabt hatte, Rache zu üben. Daraus entstand seine Bekehrung. 

Die Verschiedenheit des Wirkens der Heiligen in der Ausübung der einen Liebe ist der menschlich vielgestaltige Ausdruck der Einfachheit der göttlichen Liebe: Nur die katholische Kirche konnte eine so große und beständige Vielfalt hervorbringen, gerade weil sie die einzige ist, die die Liebe Gottes auf Erden widerspiegelt.