Angeklagter im Vatikan-Prozess sieht sich als Opfer einer Verschwörung

05. Juni 2023
Quelle: fsspx.news
Der Präsident des Gerichts Giuseppe Pignatone

Die Atmosphäre im Jahrhundertprozess des Vatikans wird zunehmend drückender. Einer der Hauptangeklagten, Kurien-Kardinal Angelo Maria Becciu, hat kürzlich das Gericht des Heiligen Stuhls beschuldigt, „den Heiligen Vater für die Durchführung eines bösartigen Racheplans zu instrumentalisieren.“

Becciu, der ehemalige Stellvertreter des Staatssekretariats steht zusammen mit neun weiteren Angeklagten wegen verschiedener Anklagepunkte vor Gericht: Angeblich betrügerische Investitionen in Höhe von 350 Millionen Euro, Verdacht auf Veruntreuung von Geldern für eine Wohltätigkeitsorganisation, die von seinem Bruder geleitet wird, und eine komplizierte Beziehung zu einer Kommunikationsberaterin, die beschuldigt wird, Gelder des Vatikans für Aufträge genutzt zu haben, die nicht wirklich geklärt wurden. 

Am 26. Mai meldete sich der Kardinal spontan zu Wort und beklagte, dass es für seine Anwälte schwierig sei, an die belastenden Beweise der Anklage zu gelangen, und dass es eine „Verschwörung“ gegen ihn gebe, bei der der Pontifex selbst – natürlich zu seinem eigenen Nachteil – instrumentalisiert worden sei. 

Eine schwerwiegende Aussage und Anschuldigung, die getätigt wurde, nachdem Giuseppe Pignatone als Vorsitzender des Gerichtshofs des Heiligen Stuhls einen Antrag der Verteidigung auf Zugang zu den vollständigen Verhören mehrerer Schlüsselpersonen in dem Fall, darunter Bischof Alberto Perlasca und Genevieve Ciferri, eine Freundin der Perlasca-Familie, abgelehnt hatte. 

Konkret umfasst das Material, das die Staatsanwälte zurückhielten, die vollständige Abschrift der Verhöre von Bischof Alberto Perlasca sowie eine Reihe von 126 WhatsApp-Chats, in die er verwickelt sein soll. Zur Erinnerung: Alberto Perlasca war der Vatikanbeamte, der eine führende Rolle beim Immobilienkauf in London spielte. 

Der vatikanische Staatsanwalt (Justizpromoter) Alessandro Diddi hat in der Tat 119 der 126 in seinem Besitz befindlichen Beweisstücke gesäubert. In seiner am 26. Mai vorgelesenen Entscheidung stellte sich Giuseppe Pignatone auf die Seite der Justiz und argumentierte, dass Staatsanwälte ein „unbestreitbares“ Recht haben, geheime Beweise während einer laufenden Untersuchung zu behalten. 

Kardinal Becciu, einst einer der einflussreichsten Porporati der römischen Kurie und enger Vertrauter von Papst Franziskus, erklärte, dass ihn die Entscheidung des Magistrats „bitter“ und „ratlos“ mache, er jedoch weiterhin Vertrauen in das vatikanische Gericht habe: „Die Verteidigung wurde gedemütigt, sie kann ihre Rechte nicht voll ausüben, wenn ihr einige Schlüsselelemente vorenthalten werden“, sagte er an die Adresse von Giuseppe Pignatone gerichtet. 

Es muss daran erinnert werden, dass die Verteidigung des ehemaligen Stellvertreters des Staatssekretariats seit Beginn des Prozesses ihren Angriff auf den Rechtskodex des Staates der Vatikanstadt gerichtet hat, einen Kodex, der ihrer Meinung nach den Angeklagten einige ihrer Grundrechte vorenthält, was im Widerspruch zu dem steht, was in anderen „modernen Demokratien“ geschieht. 

Selbst die Rolle von Papst Franziskus wurde von den Anwälten des Kardinals verdeutlicht, denn zugegebenermaßen hat der Pontifex das Gesetz im Laufe der Ermittlungen viermal zugunsten der Staatsanwälte geändert. Daher kann die Bitterkeit eines Kardinals verständlich sein, der sich an das Gericht mit folgenden Worten richtete: „Sie können den Heiligen Vater nicht dazu benutzen, einen bösartigen Racheplan durchzuführen.“