30 Jahre Bischofsweihen – Operation Überleben (Teil 5)

Quelle: FSSPX Aktuell

Die Aktion Überleben

Erzbischof Lefebvre hält am 15. Juni eine Pressekonferenz in Ecône, auf die Tags darauf eine Stellungnahme des Heiligen Stuhl erfolgt, und am 17. eine kanonische Abmahnung durch Kardinal Bernardin Gantin, den damaligen Präfekten der Bischofskongregation. 

Vor den Journalisten erzählt der Erzbischof zahlreiche Details von den mündlichen Verhandlungen, die in Rom stattgefunden haben. So war z.B. auch die Rede von der Kirche Saint-Nicolas-du-Chardonnet in Paris. Kardinal Ratzinger erklärt seinem völlig perplexen Gegenüber, dass man von jetzt an regelmäßig jeden Sonntag dort die neue Messe zelebrieren müsse. 

Erzbischof Lefebvre teilt den Journalisten ein kurze Vorstellung derjenigen Priester aus, die  er ausgewählt hat, um die Fortdauer der Tradition zu garantieren, insbesondere durch die Spendung der Priesterweihe und der Firmung. Es handelt sich um die Patres Bernard Tissier de Mallerais, einen im Jahr 1975 geweihten Franzosen, Richard Williamson, einen Engländer des Weihejahres 1976, Alfonso de Galarreta, Spanier und 1980 geweiht sowie Bernard Fellay, ein Schweizer, der zwei Jahre später geweiht wurde.

Gründe für ein Scheitern 

Am 19. Juni kommt ein Kommuniqué des Erzbischofs auf die Gründe für das Scheitern der Verhandlungen zu sprechen. Er erklärt „eine gewisse Hoffnung“ unterhalten zu haben, „dass man schlussendlich wegen des beschleunigten Selbstzerstörungsprozesses der Kirche mit Wohlwollen auf uns blicken würde“. Der Brief vom 28. Juli 1987 von Kardinal Ratzinger schien „neue Horizonte“ zu eröffnen. Weil Erzbischof Lefebvre angekündigt hatte, dass er sich Nachfolger geben werde, schien es plötzlich, dass „Rom uns nicht mehr mit einem wohlwollenden Auge betrachtete“. 

In der Tat ist im ersten Vorschlag aus Rom „nicht die Rede von einem lehrmäßigen Schreiben, das es zu unterzeichnen gilt; keine Rede von einer Entschuldigungsbitte, sondern ein Visitator wurde angekündigt, die Gemeinschaft könne anerkannt werden, die Liturgie wäre diejenige vor dem Konzil, die Seminaristen würden im gleichen Geist ausgebildet! … Wir haben also akzeptiert, diesen neuen Dialog zu beginnen, aber unter der Bedingung, dass unsere Identität vollumfänglich gegen die liberalen Einflüsse geschützt werde durch Bischöfe aus den Reihen der Tradition und durch eine Mehrheit von Mitgliedern in der römischen Kommission, welche für die Tradition zuständig ist. Nach der Visitation durch Kardinal Gagnon, von deren Ergebnis wir immer noch nichts wissen, haben sich also die Enttäuschungen geradezu angehäuft.“ 

Die Enttäuschung kam vom lehramtlichen Text, den es unerwartet zu Unterzeichnen gegolten hätte. Ebenso eine unzureichende Zahl an Repräsentanten in der Kommission für die Tradition in Rom, das Fehlen eines Datums für die Bischofsweihe eines Priesters aus den Reihen der Bruderschaft, was zu schlussendlich dann doch noch zugestanden wurde. Es war vor allem Kardinal Ratzinger, der nicht aufhörte auf die Notwendigkeit der Zugehörigkeit zur einen Kirche, nämlich der des II. Vatikanums, zu pochen und der davon ausging, dass die laufende Versöhnung nur eine Etappe sei vor der Anerkennung des ganzen Konzils, mit seinen Reformen, seinem Geistes, und seinen Neuerungen… Ungeachtet dessen hat Erzbischof Lefebvre das Protokoll vom 5. Mai unterschrieben, denn er wollte sehr wohl Vertrauen schenken, vor allem Angesichts der erreichten wesentlichen Zugeständnisse (Liturgie, kanonischer Status, Formung Weihe der Priesterkandidaten, Nachfolge im Bischofsamt). 

Die bereits erwähnten Schwierigkeiten wegen des Datums der Bischofsweihe, dazu die neuerlichen Forderungen von Rom – die Idee mit dem endgültigen Brief, den ihm Kardinal Ratzinger am 17. Mai praktisch aufgezwungen hat – all das gab ihm endgültige Klarheit. Obwohl es ihm durch kraftvolles Drängen und Hartnäckigkeit gelungen war, ein Datum für die Weihe (den 15. August) zu erhalten, muss er feststellen, dass „es überhaupt nicht mehr ein Klima der brüderlichen Zusammenarbeit und der einfachen Anerkennung der Bruderschaft ist. Für Rom besteht das Ziel der Verhandlungen in der Versöhnung, wie es Kardinal Gagnon in einem Interview im L’Avenire sagt, d.h. der Rückkehr des verlorenen Schafes in den Schafstall. Das ist es, was ich dem Papst im Brief vom 2. Juni gesagt habe: ‚Das Ziel der Gespräche ist für Sie nicht das gleich wie für uns!‘“

Der achtzigjährige Prälat beendet sein Kommuniqué mit den Worten: „Das augenblickliche nachkonziliare und modernistische Rom kann niemals die Existenz eines blühenden Astes der katholischen Kirche ertragen, das durch seine Vitalität eine Anklage wäre. Man muss also ohne Zweifel noch einige Jahre warten bis Rom seine zweitausendjährige Tradition wiederfindet. Wir unsererseits werden mit der Gnade Gottes den Beweis antreten, dass diese Tradition die einzige Quelle der Heiligkeit und des Heils für die Seelen ist, die einzige Möglichkeit der Erneuerung für die Kirche.“

Eine Parallelkirche?

Natürlich schreien die Massenmedien „Schisma“ und beschwören im Verbund mit Rom Erzbischof Lefebvre, die Weihen abzusagen. Dieser hat seine innere Ruhe wiedergefunden und ist sich sicher, den offensichtlichen Willen Gottes zu vollziehen. Die Anhänglichkeit der Gläubigen und des Klerus bestätigen ihn in seinem standhaften Selbstbewusstsein. 

Auf die Einwände und Anklagen muss jedoch eine Antwort her. Erzbischof Lefebvre bereut den Inhalt der theologischen Passagen im Protokoll des Abkommens, das er unterschrieben hat, nicht, noch stellt er sie in Frage. Anlässlich der Pressekonferenz am 15. Juni erklärt er, dass Artikel 3 „uns zufriedengestellt hat“. Er hält daran fest, dass gewisse Aspekte „welche das II. Vatikanische Konzil lehrt oder welche die nachfolgenden Reformen der Liturgie und des Rechts betreffen“, „schwerlich mit der Tradition vereinbar“ sind. „In gewisser Weise hat man uns in diesem Punkt zur Zufriedenheit verholfen“. Das ermöglichte es uns, Fragen im Konzil, in der Liturgie und im Kirchenrecht zu diskutieren. Genau das gab uns die Möglichkeit, das theologische Schreiben zu unterzeichnen. Sonst hätten wir es nie unterschrieben.“ 

Auf den Vorwurf der Gründung einer Parallelkirche, den auch Kardinal Ratzinger mehrmals machte, um den Erzbischof in die Knie zu zwingen, antwortet er, indem er den Einwand samt der Wurzel beseitigt: „Emminenz, nicht wir gründen einen Parallelkirche, da wir die Kirche aller Zeiten fortsetzen. Sie machen einen solche, indem sie die „Konzilskirche“ erfunden haben. Kardinal Benelli hat sie die „Konzilskirche“ genannt. Sie haben eine neue Kirche erfunden, nicht wir, sie haben einen neuen Katechismus gemacht, neue Sakramente, eine neue Messe, eine neue Liturgie, nicht wir. Wir fahren fort das zu tun, was schon immer getan wurde. Es sind nicht wir, die eine neue Kirche konstruieren“. 

Die Wirksamkeit und die Legitimität der Bischofsweihen begründet sich in der Tatsache, dass Erzbischof Lefebvre sehr wohl zwischen der Weihegewalt und der Jurisdiktion unterscheidet, und zwar unabhängig von den außergewöhnlichen Umständen und dem Notstand, in dem sich die Kirche befindet. Er gibt der Kirche Bischöfe, um das Priestertum und die Spendung der Sakramente in voller Gewissheit der Lehre und der Rechtgläubigkeit fortzusetzen. Aber diese Bischöfe haben nicht die geringste Gewalt in der Leitung, keine eigene Jurisdiktion. Es geht nicht darum, eine parallele Hierarchie zu begründen, sich an die Stelle der gewöhnlichen Jurisdiktion zu setzen oder geographische Gebiete dem Wirken der vier Bischöfe zu unterstellen, die er am 30. Juni 1988 weiht. Es handelt sich darum, der Tradition die Mittel zu geben, um weiter zu bestehen und zu überleben. 

Aber diese Tradition ist nicht auf Wolken gebaut. Sie ist in den Realitäten verankert, die für jedermann erkennbar in der sichtbaren Kirche gründen, der Kirche auf Erden. Dazu gehört auch jene rechtmäßig gegründete Gemeinschaft, die unrechtmäßiger Weise aufgehoben wurde: die Priesterbruderschaft St. Pius X.

Hilfsbischöfe, keine Guerilla-Kämpfer

Die von Erzbischof Lefebvre geweihten Bischöfe sind katholisch, denn sie sind reine Weihbischöfe im Dienst der Bruderschaft. Ansonsten wären es vagabundierende Bischöfe, nach dem Beispiel der Bischöfe aus dem Umfeld der Sedisvakantisten, die ohne jede Notwendigkeit geweiht wurden, zersplittert sind und unfruchtbare Grüppchen bilden. 

Um klarzustellen, dass die Bischöfe, die er weihen wird, keine Leitungsbefugnis haben, betont Erzbischof Lefebvre die Rolle des Generaloberen der Bruderschaft, dem sie unterstellt sind. Am Ende der Pressekonferenz vom 15. Juni in Ecône erklärt er daher, dass „derjenige, der also im Prinzip die Verantwortung für die Beziehungen mit Rom hat, wenn ich nicht mehr sein werde, der Generalobere der Bruderschaft sein wird, nämlich P. Schmidberger. Er hat noch sechs Jahre Amtszeit vor sich und wird von jetzt an möglicherweise Kontakte mit Rom unterhalten, um die Gespräche fortzuführen. Falls sie weitergehen oder wenn der Kontakt erhalten bleibt – was eine Zeit lang sehr unwahrscheinlich sein wird, da der Osservatore Romano zweifellos titeln wird: „Das Schisma von Erzbischof Lefebvre, Exkommunikation…!“ Während x Jahren, was weiß ich, zwei, drei Jahre, wird es eine Trennung geben.“ Trennung ohne Bruch, um die Tradition nach seinem Tod zu stabilisieren, der weniger als drei Jahre später eintreten wird, am 25. März 1991. 

Der Gründer der Bruderschaft sieht also eine Unterbrechung in den Kontakten und Gesprächen mit Rom voraus, aber von sehr kurzer Dauer. Er zeigt sich ein klein wenig optimistisch, denn in Wirklichkeit wird es zwölf Jahre dauern, bis Rom sich erneut der Bruderschaft zuwendet. Kardinal Dario Castrillón Hoyos, Vorsitzender der päpstlichen Kommission Ecclesia Dei, wird ab dem Jahr 2000 feststellen: Die Bischofsweihen haben den angekündigten Untergang des Werkes von Erzbischof Lefebvre nicht verursacht, im Gegenteil. Sie waren sie die providentielle Grundlage seiner Ausbreitung in einem vor den modernen Irrtümern und der modernen Moral geschützten Umfeld. 

In einem Wort, diese Weihen werden dazu dienen, eine Kirche zu errichten und aufzubauen, die „denjenigen, welche sie zerstören“ entgegengesetzt ist. Zerstören durch Verbreitung von lehramtlich verurteilten Ideen, wie die römischen Päpste bestätigen: „Das ist der eigentliche Grund für diese Ereignisse, die wir erleben, und es wird ein Massenauflauf sein bei dieser Zeremonie am 30. Juni zur Weihe dieser vier jungen Bischöfe, die im Dienst der Bruderschaft stehen.“

Im Dienst der Bruderschaft 

Am 4. Juli 1988, kurz nach den Weihen, kommt Erzbischof Lefebvre auf die Aufgabe und die Stellung der Bischöfe zu sprechen. In Ecône hält er eine Konferenz vor den Distrikt- und Seminaroberen, welche sich um ihn versammelt haben: „Die Statuten der Bruderschaft bleiben die Regel unserer providentiellen Aufgabe. Die Bischofsweihen setzen die Struktur der Bruderschaft nicht außer Kraft. Es ist selbstverständlich und die Bischöfe wissen das ganz genau, dass sie nur Weihbischöfe der Bruderschaft sind, dass sie die Hierarchie nicht ersetzen können, dass sie nicht über eine persönliche Jurisdiktion als Bischöfe verfügen. Auch wenn es manchmal Ordensobere gibt, die Bischöfe sind, so ist das nicht die Regel. Die Bischöfe sind geweiht für den Dienst in der Bruderschaft und den Vereinigungen, welche rechtmäßig mit ihr verbunden sind, gemäß dem Kriterium, das Rom bereit war zu berücksichtigen, nämlich für die Firmungen und die Weihen. Es ist der Generalobere, der die Verantwortung trägt über die Weihe von Kandidaten, die von außerhalb der Bruderschaft kommen; von errichteten Gemeinschaften, deren Statuten in normalen Zeiten würdig wären, von der Kirche anerkannt zu werden. Die Oberen der Distrikte und der autonomen Häuser planen die Firmreisen. Die Jurisdiktion wird den Bischöfen durch den Notstand gegeben, in dem sich die Gläubigen befinden.“ 

Bleibt zu präzisieren, dass die Jurisdidktion nicht anders geschieht als in Vertretung durch die Kirche, wenn die gewöhnliche oder delegierte Jurisdiktion fehlt. Das geschieht, um die Gültigkeit der Sakramente in außergewöhnlichen Umständen zu gewährleisten. Es geht nicht darum, sich selbst ein eigene Jurisdiktion zu geben. 

Am gleichen Tag kommt Erzbischof Lefebvre auf die Struktur zurück, wie er sie beabsichtig sieht: „Es ist der Generalobere, der die Verbindung zu Rom unterhält, mit einem Wort, der die Verantwortung für die Tradition übernimmt, denn das ist die Struktur der Bruderschaft, wie sie in den Augen der Kirche existiert. Wir wollten niemals den Zusammenschluss der Tradition, noch den Vorsitz einer solchen Gemeinschaft; aber es bleibt de factonur die Bruderschaft als tragende Säule der Tradition, als das Werkzeug der Vorsehung, auf das sich alle Werke der Tradition stützen müssen. Die Bischöfe haben keine territoriale Jurisdiktion. Aus praktischen Gründen werden sie ihren Dienst möglichst oft ausüben, insbesondere in den Ländern der französischen, englischen, deutschen und spanischen Sprache“. Es handelt sich darum, auf die Bedürfnisse des Apostolats zu reagieren, denen der ehemalige Missionar nicht mehr nachkommen kann.

Weder Bruch noch Schisma mit dem katholischen Rom

Die Weihen von 1988 waren wohl durchdacht. Sie antworten auf eine außergewöhnliche Situation. Sie sind nicht die Frucht eines Aufstandes, sondern eine Tat zur Aufrechterhaltung der Ordnung, während sich die Anarchie ausbreitet. Der Erzbischof erklärt es während der Pressekonferenz präzise. Der Geist von Assisi, „die neuen und modernistischen Ideen, die durch das Konzil eingedrungen sind“ und die den Glauben zerstören, rechtfertigen einen solchen Akt, trotz der offensichtlichen Sanktionen. Niemals wird Erzbischof Lefebvre ein Schisma mit dem Nachfolger Petri vollziehen. Wohl aber mit dem modernistischen Papst, will sagen „mit den Ideen, die er überall verbreitet, die Ideen der Revolution, die neuen Ideen, ja“. Und er betont: „Wir haben persönlich nicht die geringste Absicht, mit Rom zu brechen. Wir wollen mit dem Rom aller Zeiten vereint sein und wir sind überzeugt, mit diesem Rom vereint zu sein, denn in unseren Seminaren, bei unseren Predigten, in unserem ganzen Leben und im Leben der Christen, die uns folgen, fahren wir fort, das traditionelle Leben zu führen wie es vor dem II. Vatikanischen Konzil war und wie es während zwanzig Jahrhunderten gelebt wurde. Ich sehe also nicht, warum wir im Bruch mit Rom sein sollen, denn wir vollbringen das, was Rom selbst während zwanzig Jahrhunderten empfohlen hat zu tun. Das ist nicht möglich“. 

Übrigens kann der Verstoß gegen ein kirchliches Gesetz rein disziplinärer Natur kein Schisma zu begründen, d.h. eine Sünde gegen die Einheit der Kirche. Es geht nicht darum, eine „kleine Kirche“ zu gründen, die das petrinische Fundament nicht anerkennen würde, das unser Herr Jesus Christus gegründet hat, indem sie sich formell davon trennt. Die Gesetze der Kirche können nicht zu ihrer eigenen Zerstörung dienen während, die Irrtümer überall den Glauben und die Sitten ruinieren. Angesichts einer solchen Problemantik scheint das Telegramm von Kardinal Ratzinger vom 29. Juni, in dem er dem Prälaten zu Ecône vorschreibt, „auf der Stelle nach Rom zurückzukehren ohne die Bischofsweihen vorzunehmen“, als geradezu belanglos. 

Das Mandat der Kirche 

Während der historischen Zeremonie am 30. Juni liest Erzbischof Lefebvre ein Mandat vor, in welchem er erklärt, dass der Modernismus der kirchlichen Autoritäten die Strafen und Zensuren null und nichtig macht, die er auf sich ziehen könnte. Im Gegenteil es ist die römische Kirche selbst, welche „immer treu den heiligen, von den Aposteln überlieferten Traditionen“ ist und die „uns befiehlt, treu diese heiligen Traditionen – also das Depositum fidei – an alle Menschen für das Heil ihrer Seelen weiterzugeben.“ 

Der Erzbischof beruft sich auf das Heil der Seelen, um auf die Intention des Gesetzgebers zu schließen, der nicht wollen kann, dass diese kirchlichen Gesetze zur Zerstörung des Glaubens dienen. Es handelt sich um einen Akt der Epikie, ein Teil der Tugend der Gerechtigkeit in Sonderfällen, wo allein eine tiefere Weisheit in der Lage ist, den Geist zu erleuchten über das Gesetz, damit er nicht am Buchstaben hängen bleibt. Dieser Geist ist in der Kirche das oberste Gesetz des Heiles der Seelen (Salus animarum suprema lex). Um hier die notwendige Unterscheidung zu treffen braucht es einen ganz außergewöhnlichen Scharfsinn, der wiederum Teil der Tugend der Klugheit ist. Das sind die Qualitäten, die in eigentümlicher Weise bei diesem Mann hervorleuchten, der mit einer außergewöhnlichen Situation konfrontiert wird – vir prudens ac justus. 

Das ist es, was die Kirche befiehlt, die Kirche, die Erzbischof Lefebvre als die „Kirche aller Zeiten“ bezeichnet, um jene römische Kirche zu benennen, die ihren Traditionen treu ist, im Gegensatz zur Konzilskirche voller glaubenszerstörerischer Neuerungen. Sie verpflichtet den Erzbischof im Gewissen: „Deshalb, weil wir Mitleid mit dieser Menge haben, habe ich die schwere Pflicht meine Gabe des Bischofsamtes an diese geliebten Priester weiterzugeben, damit sie selbst die Gnade des Priestertums zahlreichen und heiligen Klerikern spenden mögen, welche nach den heiligen Traditionen der katholischen Kirche geformt wurden.“ 

Schlussendlich vollzieht Erzbischof Lefebvre an diesem 30. Juni eine heroische Tat in vollständiger Übereinstimmung mit dem, was er am 4. Juli 1984 geschrieben hat, wo er in wenigen Zeilen den Geist beschreibt, der ihn bewegt: „Deswegen bin ich starrköpfig, und wenn sie den tiefen Grund dieser Starrköpfigkeit wissen wollen, hier ist er. Ich will in der Stunde meines Todes, wenn Unser Herr mich fragt: „Was hast Du aus deinem Bischofsamt gemacht, aus deiner bischöflichen, deiner priesterlichen Gnade?“, nicht aus seinem Mund jene schrecklichen Worte hören: „Du hast mitgewirkt, um die Kirche zu zerstören, genau wie die anderen.“

Angesichts der schweren Verpflichtung der gegenwärtigen Stunde hat sich Erzbischof Lefebvre dieser Verantwortung nicht entzogen.

 

Abbé Christian Thouvenot