Aktueller Stand im Vatikan-Prozess (1)
Die vatikanische Gendarmerie
In den letzten Sitzungen des Prozesses, in dem zahlreiche Angeklagte vor Gericht stehen, wurden verschiedene Zeugen gehört. Unter den Angeklagten, denen verschiedene Straftaten, insbesondere aber im Zusammenhang mit der Affäre um das „Londoner Gebäude“ in der Sloane Avenue, zur Last gelegt werden, befindet sich auch Kardinal Angelo Becciu.
In den Sitzungen wurde auch der Leiter des Gendarmeriekorps des Staates der Vatikanstadt, Kommissar Stefano De Santis, vernommen. Der Zeuge erklärte, dass alle durchgeführten Ermittlungen auf eine Klage des Generaldirektors des Instituts für die Werke der Religion (IOR) - der Vatikanbank - Gian Franco Mammì folgten, die sich auf die vom Staatssekretariat geforderten 150 Millionen Euro bezog. Daraufhin sei man tätig geworden und hätte zahlreiche Untersuchungen unter der Leitung der Justizbehörde eingeleitet. So wurden in einer Meldung des Generalauditor Alessandro Cassinis Righini am 8. August 2019 „Anomalien bei der Verwaltung der Vermögenswerte des Staatssekretariats“ angeprangert: der „Charakter“ der Investitionen, die bis 2013 zunächst sehr konservativ waren, wurde offenbar danach eher spekulativ. Eine Durchsuchung des Staatssekretariats und des Hauses des Direktors der Finanzfahndungsbehörde, Tommaso di Ruzza, am 1. Oktober 2019 brachte erste Antworten, die die Rolle von Fabrizio Tirabassi bei den Unregelmäßigkeiten aufzeigten.
Der Fall Cecilia Marogna
Die slowenische Polizei, so berichtete Kommissar Stefano De Santis, „berichtete uns von einem italienischen Staatsbürger, der dabei war, einen vatikanischen Staatssekretär (...) um 575.000 Euro für angebliche Beiträge zu humanitären Missionen zu betrügen“. Dabei handelte es sich um Cecilia Marogna. Der Kommissar: „Die eingehenden Untersuchungen, die über sie durchgeführt wurden, zeigten das Bild einer Frau, die die erhaltenen Gelder für Reisen und persönliche Ausgaben verschleuderte.“ Der Zeuge berichtete auch von einem Treffen mit Kardinal Becciu am 3. Oktober 2020, bei dem dieser „uns gebeten hat, die Person Cecilia Marogna nicht hervorzuheben“. Der Kardinal dementierte in einer spontanen Erklärung die Aussagen des Kommissars.
Ozieri und Spes
Auch der Fall der Diözese Ozieri und Spes, einer sozialen Genossenschaft, die von Antonino Becciu, dem Bruder des Kardinals, geleitet wird, wurde untersucht. Kommissar De Santis sprach von Zahlungen, die nicht auf die offiziellen Konten der Diözese eingezahlt worden waren, und von Dokumenten, die der Bischof verfasst hatte, um die Zahlung von Beiträgen der Italienischen Bischofskonferenz an die Genossenschaft zu „befürworten“.
Rückblick auf das Treffen bei Kardinal Becciu
In der 29. Anhörung wurde die Befragung von Herrn De Santis fortgesetzt. Sie dauerte etwa sieben Stunden. Der Zeuge kam auf das Treffen vom 3. Oktober 2020 zwischen Kardinal Angelo Becciu und dem Kommandanten des Gendarmeriekorps, Gianluca Gauzzi Broccoletti, im Haus des Kardinals zurück und behauptete, dass das Treffen von Becciu arrangiert worden sei. Doch der Kardinal erwiderte, dass er von Gauzzi per SMS kontaktiert worden sei. Das Treffen sollte geheim bleiben, aber De Santis sagte, er habe nicht gesehen, dass „der Kardinal erstaunt oder überrascht“ gewesen sei, die beiden hohen Gendarmerieoffiziere zu empfangen, was darauf hindeutet, „dass es sich um ein vereinbartes Treffen handelte“. De Santis stellte fest: „Wir haben dem Kardinal nie gesagt, dass dieses Treffen geheim sein sollte, niemals! Ein Kommandant, der sich zum Haus eines Kardinals begibt, wäre im Vatikan aufgefallen“, sagte der Kommissar.
Bei diesem Treffen soll Erzbischof Becciu über die Veruntreuung von 575.000 Euro durch Marogna informiert worden sein und angeboten haben, dem Staatssekretariat das Geld zurückzuzahlen, wurde jedoch von Gauzzi dahingehend aufgeklärt, dass ja er der Betrogene und nicht der Betrüger sei.
Desweiteren wurden in der Wohnung des Kardinals keinerlei Hinweise auf Marognas Aktivitäten zur Befreiung einer in Mali entführten Nonne gefunden, dass sie also das Geld des Heiligen Stuhls „plünderte“. Kommissar De Santis: „Als wir den Kardinal aufsuchten, wussten wir bereits mit Sicherheit, dass Becciu informiert war“. Der Kardinal behauptet hingegen, dass er erst bei dem Treffen mit Gauzzi und De Santis davon erfahren habe. De Santis zufolge schien der Kardinal nicht über den Betrug erstaunt zu sein, „sondern war nur verärgert darüber, dass dieser Name erwähnt werden könnte, da dies ihm und seiner Familie schaden könnte“.
Die geheime Aufnahme im Bulgari-Hotel
Im Hotel Bulgari fand ein wichtiges Gespräch zwischen dem Broker Gianluigi Torzi, dem ehemaligen Angestellten des Vatikans Fabrizio Tirabassi und Enrico Craso, dem Finanzberater des Staatssekretariats, statt. Craso zeichnete dieses Gespräch heimlich auf.
Die Gendarmen stellten das „kriminelle Verhalten“ von Torzi fest, dem das Staatssekretariat 15 Millionen Pfund Sterling zahlen musste, damit er die tausend Aktien mit Stimmberechtigung abgab, die ihm die vollständige Kontrolle über das Anwesen in London garantierten. Dies, so die Anklage, sei eine regelrechte Erpressung gewesen.
Spontane Erklärung von Kardinal Becciu
Die 30. Anhörung wurde mit einer neuen, langen spontanen Erklärung von Kardinal Becciu eröffnet. Damit wollte die Aussagen, die er gestern bei der Befragung durch den Gendarmeriekommissar Stefano De Santis gemacht hatte, ins rechte Licht rücken.
Der Kardinal ging auf das Treffen vom 3. Oktober 2020 ein. Ihm zufolge hatte Gauzzi darum gebeten, dass das Treffen „durch eine Verpflichtung zur absoluten Vertraulichkeit geschützt“ werde: „Ich bestätige absolut, dass mir gesagt wurde, ich solle die Vertraulichkeit wahren, und ich habe diese Verpflichtung eingehalten und, ich habe niemals jemandem etwas über dieses Treffen anvertraut.“
Der Kardinal erwähnte auch die Finanzierung der Caritas der sardischen Diözese Ozieri durch die Italienische Bischofskonferenz (CEI), die die Mittel dann an die Genossenschaft Spes, deren Eigentümer sein Bruder Tonino ist, weitergegeben wurde. Aber „ich sah und sehe darin kein Verbrechen, denn es handelt sich um eine normale Praxis in der Kirche, nämlich die der gegenseitigen Hilfe“, betonte Bischof Becciu. Mehr als 70 Personen wurde durch diese Finanzierungsmaßnahme bei der Suche nach einem Arbeitsplatz geholfen.
Der Angeklagte betonte, dass „man die Mitglieder meiner Familie verdächtigte, sich bereichert zu haben“. In diesem Zusammenhang forderte der Kardinal Kommissar De Santis auf, öffentlich zu erklären, ob die Inspektionen jemals unregelmäßige Einkünfte auf den Konten von Familienmitgliedern gefunden hätten: „Ich erlaube Ihnen, das zu sagen! Niemals ist auch nur ein Cent in die Taschen meiner Brüder geflossen“.
Was schließlich Cecilia Marogna betrifft, so habe er mit ihr die Frage eines Betrugs hinsichtlich der Verwendung des anvertrauten Geldes klären wollen. Marogna hätte ihm versichert, dass dies nicht der Fall sei. Der Kardinal: „Ich habe ihr gesagt, dass sie das Geld, wenn sie es veruntreut hat, unbedingt zurückgeben muss.“
(Quelle: Vatican news – FSSPX.Actualités)
Illustration: Vatican Media, CC BY-SA 4.0, via Wikimedia Commons