Das große Elend der Kirchen

Quelle: FSSPX Aktuell

Gotische Kirche als trendiges Café

1913 veröffentlichte Maurice Barrès das Buch Das große Mitleid mit den Kirchen Frankreichs. Im Jahr 1973 veröffentlichte Michel de Saint Pierre das Buch Kirchen als Ruinen, Kirchen in Gefahr. Wie steht es heute um die Kirchen? Jetzt, da die Entchristlichung überall um sich greift?

In Boston werden Chondos gebaut 

Chondo ist ein englischer Neologismus, der die Wörter church und condo (Verkleinerungsform von condominium, Wohnung in einem Gebäude mit Eigentumswohnungen) zusammenfasst. So kommt es, dass, wie uns Paul Durand auf cath.ch vom 21. Juni 2024 berichtet, dass die Deutsche katholische Kirche der Heiligen Dreifaltigkeit keine Kirche mehr, sondern ein Luxusgebäude ist. 

Anstelle des alten Dachgeschosses breiten sich nun Erker aus, die von Metallbögen umgeben sind. Sie beherbergen etwa 30 Wohnungen, ebenso viele Autostellplätze und ein Fitnessstudio; insgesamt wurden mehr als 7.400 Quadratmeter in Wohnungen umgewandelt. Einer der Miteigentümer wohnt im ehemaligen Glockenturm. 

Die Gemeindemitglieder der Holy Trinity Church in der Shawmut Avenue hatten lange Zeit gehofft, ihre Kirche behalten zu können. Sie hatten zu diesem Zweck einen Verein gegründet, waren aber angesichts der Millionen von Bauherren erfolglos geblieben. Doch: „In Boston und Toronto (Kanada) zögern die Bauträger nicht. Sie sehen eine Kirche in schlechtem Zustand, klopfen an die Tür und unterhalten sich nach der Messe. Es gibt viel Raubbau, denn sie sind sich der schlechten wirtschaftlichen Lage der Gemeinden bewusst“, räumt Nicholas Lynch ein, außerordentlicher Professor an der Abteilung für Geografie der Memorial University in Neufundland (Kanada) und Spezialist für das Phänomen der Chondos

In Brüssel nehmen andere Kulturen die Gebäude in Beschlag 

Wie die belgische Tageszeitung La Libre Belgique am 24. Juni berichtete, gab es vor fünfzehn Jahren in Brüssel 109 Pfarrkirchen. In den Augen der Bischöfe wurde das angesichts der immer weiter zurückgehenden religiösen Praxis zu viel. Ihre Zahl wurde daher verringert. In der Hauptstadt gibt es nun 92 aktive katholische Kirchen. 

Was tun mit aufwendig zu erhaltenden Denkmälern, in denen es keine Priester mehr gibt? Die erste Möglichkeit besteht darin, die Kirche einer katholischen Gemeinschaft anzuvertrauen, die die Gottesdienste in einer bestimmten Sprache oder nach einem orientalischen Ritus abhält. Wenn dies nicht in Frage kommt, wird das Gebäude verkauft oder einer christlichen Glaubensgemeinschaft übergeben: hauptsächlich den Protestanten – die im Norden Brüssels stark vertreten sind – und den Orthodoxen. 

Die Diözese plant vorerst nicht, Muslimen eine Kirche anzuvertrauen. Als Gründe werden Probleme mit dem Kulturerbe genannt: Wenn das Gebäude mit seinen Möbeln unter Denkmalschutz steht, was macht man dann zum Beispiel mit Buntglasfenstern oder Statuen, die keinen Platz in einer Moschee finden könnten? Außerdem: Eine Kirche in eine Moschee umzuwandeln, wäre für manche Christen sicherlich sehr schwer zu ertragen. 

Michaël Privot, Verwalter des Muslimischen Rates von Belgien, der die islamische Glaubensgemeinschaft beim Staat vertritt, stellt fest: „Die islamische Glaubensgemeinschaft hat sich bereits offen dafür gezeigt, Kirchen in Brüssel zurückzuerhalten. Die türkische Gemeinschaft hatte beispielsweise ihr Interesse an der Kirche Sainte-Marie in Schaerbeek bekundet. Theologisch gesehen würde eine solche Umwidmung keine größeren Probleme für die Muslime mit sich bringen. Heute ist die Kapelle der ursprünglich christlichen Saint-Louis-Universität ein Ort des interkonfessionellen Gebets [sic] geworden.“

Woanders wird entweiht und verkauft 

Am 22. Juni enthüllte die katholische Website Riposte catholique, dass die Kirche Saint-Blaise du Clinquet im gleichnamigen Viertel in Tourcoing zusammen mit dem angrenzenden Pfarrhaus von der Diözese Lille, die die Kirche am 7. April entweiht hatte, zum Verkauf angeboten worden war. Das Pfarrhaus war bereits seit 2017 als Wohnraum vermietet. Und die Diözese hatte bereits 2022 eine Kirche in Saint-André-lez-Lille verkauft, die seit 2005 entweiht war. 

Da die Diözese Lille strukturell defizitär ist (Defizit von 6 Mio. EUR Betriebsergebnis in den Jahren 2021 und 2022, Defizit von 1,2 Mio. EUR im Jahr 2022, gegenüber einem knappen Überschuss im Jahr 2021), wird sie umstrukturieren und verkaufen müssen. 

Aus der Buchhaltung geht hervor, dass Anfang 2023 ein Gebäude der Diözesandirektion für katholisches Bildungswesen für 3,8 Millionen Euro verkauft wurde. Zusätzlich sollen zwei Schulen in Tourcoing bis zum Beginn des Schuljahres 2024 geschlossen werden. Sie werden mit zwei anderen Einrichtungen zusammengelegt, um so auf den demografischen Rückgang zu reagieren.  

Man fragt sich angesichts des Bevölkerungsrückgangs, des Rückgangs der religiösen Praxis, der Überalterung des Klerus, den immer seltener werdenden Berufungen wo die Früchte des „Frühlings der Kirche“, den das Konzil vor 60 Jahren angekündigt hatte, geblieben sind?