Der Vatikanprozess entwickelt sich dramatisch
Une vue des Musées du Vatican où se déroule le procès
Am Donnerstag, den 24. November 2022, fand eine weitere Anhörung im Vatikanprozess statt. Die Sitzung begann mit einem Paukenschlag: Der vatikanische Staatsanwalt (Justizpromoter) Alessandro Diddi gab bekannt, dass eine neue Untersuchung gegen Kardinal Angelo Becciu eingeleitet wurde.
Auslöser dieser neuen Untersuchung ist der Inhalt eines Telefongesprächs zwischen Kardinal Becciu und dem Papst, das während der Prozessanhörungen veröffentlicht wurde. Bei dieser 37. Anhörung des Prozesses konnten die Anwesenden das gesamte Gespräch mithören, in dem der Kardinal den Papst drei Tage vor Beginn des Prozesses um eine Bestätigung bat, dass er die Zahlungen an Cecilia Marogna für die Freilassung einer in Mali entführten kolumbianischen Nonne genehmigt habe. Der über fünf Minuten lange Anruf vom 24. Juli 2021 fand statt, als sich der Kardinal in seiner Wohnung in der Piazza del Sant'Uffizio befand. Er wurde von einer Verwandten von Kardinal Becciu, Maria Luisa Zambrano, aufgezeichnet. Diese Aufnahme wiederum wurde auf Maria Zambranos Telefon von der Guardia di Finanza in Oristani im Rahmen einer Untersuchung der Staatsanwaltschaft Sassari über die Verwaltung der Genossenschaft Spes, die von Tonino, dem Bruder von Kardinal Becciu, und der Familie des Kardinals geleitet wurde, gefunden.
Die Unterlagen und Gesprächskopien wurden aufgrund eines Rechtshilfeersuchens an das Büro des Justizpromoters Alessandro Diddi weitergeleitet und heute dem Gericht vorgelegt. Diddi erklärte, dass dieses Material zusammen mit anderen Stücken nun eine neue Untersuchung im Vatikan wegen „krimineller Vereinigung“ ausgelöst haben, die auch Kardinal Becciu einschließt.
Unter diesen neuen Unterlagen erwähnte der vatikanische Staatsanwalt die Aussagen des 2020 verstorbenen emeritierten Bischofs von Ozieri, Sergio Pintor, über die Beziehungen zur Familie Becciu. Diese würden, so der verstorbene Prälat, die Caritas „auf Familienebene“ leiten, mit klar erkennbaren Ansätzen „starker Einmischung in die pastoralen Aktivitäten“.
Es ging auch um 927 Dokumente für den Transport von 18.000 Kilogramm Brot, die von Spes produziert wurden und an Pfarreien geliefert werden sollten, um die von der Diözese an die Genossenschaft gezahlten Beträge zu rechtfertigen. Die Dokumente scheinen jedoch „gefälscht“ worden zu sein.
Das Verhör von Bischof Perlasca
Die mit Spannung erwartete Befragung von Bischof Alberto Perlasca, dem ehemaligen Leiter des Verwaltungsbüros des Staatssekretariats, dauerte sechs Stunden, in denen der Prälat aus Como alle grundlegenden Punkte des Prozesses ansprach: den Kauf des Gebäudes in London, di eZahlungen an Cecilia Marogna und die Caritas von Ozieri; die Beziehungen zu Gianluigi Torzi und Raffaele Mincione und die Art der vom Staatssekretariat getätigten Investitionen. Investitionen, die er, wie er versicherte, nie habe genehmigen können, da er keine Befugnis dazu gehabt habe: „Nicht einmal das IOR [Istituto per le Opere di Religione = Vatikanbank] erkannte meine Unterschrift an.“ Die finanziellen Aktivitäten waren „vollständig in den Händen“ des angeklagten Fabrizio Tirabassi. Perlasca: „Ich habe mit allen Mitteln versucht, ihn ersetzen zu lassen. Ich mochte ihn nicht besonders. Dann muss man die Pferde, die man hat, laufen lassen“.
Beziehung zu Raffaele Mincione
Bischof Perlasca beschuldigte Raffale Mincione in Bezug auf die Affäre um das Londoner Gebäude in der Sloane Avenue, „zu tun, was er wollte. Er finanzierte seine Aktivitäten mit unserem Anteil an Barmitteln. Wir verloren Geld“. Im Sommer 2018 hatte der Heilige Stuhl genug und beschloss, aus der Angelegenheit auszusteigen: „Der Glaube ist unendlich, die Geduld begrenzt.“ Er fügte hinzu, dass das Treffen in London vom 20. bis 23. November 2018, an dessen Ende die beiden Vereinbarungen unterzeichnet wurden, die den Transfer von Gianluigi Torzi (Beklagter) zu den Gut-Fonds festlegten, nur ein technisches Treffen hätte sein sollen. Es waren Fabrizio Tirabassi und Enrico Crassus, die vom Staatssekretariat als vertrauenswürdige Experten entsandt worden waren und mit einer Rahmenvereinbarung zurückkamen.
Bischof Perlasca bestand darauf, weitere Experten zu hören. Aber „Fabrizio Tirabassi sagte am Telefon, dass wir abschließen müssten, dass wir Geld verlieren würden, dass sie uns eine Gelegenheit auf dem Silbertablett anbieten würden. Ich dachte mir: Wenn die Techniker sagen, dass alles in Ordnung ist, dann ist alles in Ordnung“.
Die tausend Aktien von Gianluigi Torzi
Die in London getroffene Vereinbarung gab Gianluigi Torzi die volle Kontrolle über das Gebäude. Es war Gianluca Dal Fabbro, der den Leiter des Verwaltungsbüros auf die „Schwachstelle der Vereinbarung“ aufmerksam machte. Er sagte mir: „Aus diesem Ding auszusteigen kostet dich eine Menge Geld“. Er erklärte mir „den Unterschied zwischen unseren 30.000 Aktien, die so viel zählten wie eine Pik-Zwei, und Torzis 1.000 Aktien. Ich war am Boden zerstört.“ Bischof Perlasca beschloss, Gianluigi Torzi anzuzeigen: „Ich habe es allen gesagt, aber die meisten waren bereit, zu zahlen oder zu verhandeln. Ich wurde gebeten, mich nicht mehr um die Operation zu kümmern“.
Die Zahlung von Cecilia Marogna
Bischof Perlasca wurde dann zu den Zahlungen befragt, die an Cecilia Marogna geschickt wurden, die mit ihrer Firma in Slowenien die Freilassung der kolumbianischen Nonne vermittelt hatte. Der Bischof: „Ich wurde gebeten, Zahlungen an ‚einen Vermittler‘ zu leisten. Ich wusste nicht, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelte. Ich habe die Transaktion durchgeführt.“
Später entdeckte der Zeuge die Ausgaben von Cecilia Marogna für Luxusgüter und fragte Kardinal Becciu, ob es sich dabei um Betrug gehandelt habe. Dieser antwortete: „Wenn das stimmt, werde ich sie anrufen und ihr sagen, dass sie es zurückgeben muss“. Kurz darauf fand er heraus, dass eine gewisse Cecilia Zulema, die sich als Agentin des italienischen Geheimdienstes ausgibt, um einen Beitrag für eine Mission in Libyen bittet“. Er war entsetzt, als diese Agentin als Cecilia Marogna identifiziert wurde.
Perlasca berichtet weiter, dass der derzeitige Kardinal Oscar Cantoni, Bischof von Como, ihm erzählt habe, dass Kardinal Becciu ihn angerufen und mich mittelbar aufgefordert habe, meine Äußerungen zurückzunehmen, wobei ihm, Perlasca, sechs Monate Gefängnis angedroht worden seien. Bischof Perlasca: „Ich habe die Sache lediglich gemeldet.“
Nach dieser Zeugenaussage und den neuen Beweisstücken hat sich die Position Kardinals Becciu nicht sonderlich zu seinem Vorteil entwickelt.
(Quelle: Vatican news - FSSPX.Actualités)
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