Erdbeben in der Türkei gefährdet auch die Christliche Gemeinschaft

Quelle: FSSPX Aktuell

Msgr. Paolo Bizzeti

Die christliche Gemeinschaft in den vom Erdbeben betroffenen Gebieten „ist in großer Gefahr“. Der Grund ist eine Situation „großer Verzweiflung“ und Ausweglosigkeit. Es sind nur noch wenige Gläubige, die in Antiochia, dem Zentrum des Erdbebens, geblieben sind. Neben den täglichen Bedürfnissen ist es notwendig, den normalen Alltag wieder zu etablieren: „Wohnung, Schule und Arbeit, sonst werden die Menschen weggehen.“

Dies erklärte Bischof Paolo Bizzeti gegenüber AsiaNews. Bizzeti ist Vikar von Anatolien, einer Region, die noch immer die Folgen des dramatischen Erdbebens vom 6. Februar verarbeiten muss. Vom 13. bis 15. Juni veranstaltete das Vikariat in Iskenderun ein Treffen, um die Lage zu erörtern und die Interventionen und Aktivitäten für die kommenden Wochen festzulegen. 

„Die Christen“, erklärt Bischof Bizzeti, „unterscheiden sich nicht von anderen Minderheiten, sie leiden unter den Problemen aller anderen: Wohnung, Arbeit, Schule, Alltag. Es wird Jahre dauern, bis alles geregelt ist. Auch heute ist es schwierig zu sagen, was man von außen tun kann, um ihnen zu helfen. Es ist wesentlich, sich daran zu erinnern, dass die Wurzeln des Christentums an diesen Orten liegen.“ 

Die westlichen Kirchen, so fügt er hinzu, „sollten ihre Regierungen sensibilisieren und interessieren, damit sie sich die christliche Präsenz im Nahen Osten zu Herzen nehmen und dazu beitragen, sie zu bewahren. Ich spreche von echten politischen Maßnahmen, die auf die Tagesordnung gesetzt werden sollten.“ 

Das Erdbeben vom 6. Februar bleibt eine offene Wunde, wobei die Notlage in elf großen Zentren im Süden und Südosten des Landes nach wie vor besonders ernst ist. Die Zahl der Todesopfer liegt bei über 50.000, zusätzlich der 8.000 von Damaskus gemeldeten, wobei die Zahlen nicht den endgültigen Stand abbilden. Es gibt mehr als 160.000 eingestürzte oder schwer beschädigte Gebäude und mehr als zwei Millionen Vertriebene. Hinzu kommen noch die Vermissten, deren Zahl nicht genau bekannt ist. 

In der ersten Phase der akuten Notsituation sorgten das Vikariat Anatolien und die Caritas Türkei für die Verteilung von Wasser, Nahrungsmitteln, Decken, Kleidung, Medikamenten und Reinigungsmaterial in der Residenz des Bischofs in Iskenderun, auf den Straßen und in den ersten Lagern. Hinzu kamen Schulzelte für ein Mindestmaß an Schulbildung und Entwicklung der Kinder in einem Umfeld großer Not. In der zweiten Phase stellte die Kirche Zelte, Ausrüstungsgegenstände, Lagerküchen, Duschbäder, Kantinenbehälter und -utensilien, Ventilatoren und Kühlschränke zur Verfügung. In den ersten drei Monaten erhielten fast 55.000 Familien lebensnotwendige Hilfe sowie psychologische Betreuung, Unterstützung bei der Ausbildung und medizinische Versorgung. 

In der am stärksten betroffenen Region Hatay „wurde ein Großteil der Bevölkerung vertrieben und hat nicht vor, so bald zurückzukehren“, erklärte der Vikar von Anatolien. „Viele würden gerne zurückkehren“, fährt er fort, „aber es ist unmöglich zu sagen, wann. In der Region Antiochia ist der Wiederaufbau noch nicht möglich und die Menschen bereiten sich darauf vor, für lange Zeit fern der Heimat zu bleiben. 

Andere sind in der Region geblieben und leben in Zeltlagern oder Slums. Sie brauchen alles: Lebensmittel, Belüftungs- und Kühlanlagen - mit dem Beginn der heißen Jahreszeit herrscht in den Zelten ein heißes Klima. Es gibt auch das Problem der Lebensmittellagerung, und genau auf diese Aufgaben konzentriert die Caritas momentan ihre Anstrengungen. Nach einer ersten Schätzung befinden sich noch etwa 20 Prozent der ursprünglichen Bevölkerung in dem am stärksten betroffenen Gebiet. Die Kirche hat sich in der letzten Zeit bemüht, Arbeiter und Handwerker mit Werkzeugen und Geräten auszustatten, damit sie ihre Arbeit wieder aufnehmen können", erklärt Bischof Bizzeti. 

Die Verzögerungen werden leider „unvermeidlich lang“ sein, warnt er, da jeder Schritt von der Regierung kontrolliert wird „und nichts ohne Genehmigungen getan werden kann“, die im Rahmen eines komplizierten bürokratischen Procederes ausgestellt werden. Schließlich sind da noch die Kinder, Jugendlichen und Schulen, die nach dem Leid und den Monaten, die sie durch die Covid-19-Pandemie verloren haben, „eine der am stärksten betroffenen Gruppen“ bleiben. 

„Diese Generation“, so Bischof Bizzeti abschließend, „ist dazu bestimmt, eine sehr prekäre Schulerfahrung zu machen, zu der erstens die psychologischen Traumata der gesundheitlichen Not und zweitens die des gewaltigen Erdbebens hinzukommen. Jedoch fehlen die Zeit und sogar die Ressourcen, um über die psychischen Folgen nachzudenken, es handelt sich nämlich vielmehr um einen ständigen Kampf ums Überleben.“