Indien: Narendra Modi reaktiviert Pläne für ein einheitliches Zivilgesetzbuch

Narendra Modi will Indien mit einem „säkularen Zivilgesetzbuch“ ausstatten. Dieses Projekt, das „seit mehr als zehn Jahren“ von den Hindu-Nationalisten vorangetrieben wird, beunruhigt die im Land bereits verfolgte christliche Minderheit, die eine drastische Einschränkung der Freiheiten der Kirche befürchtet, wie die Pariser römisch-katholische Tageszeitung La Croix berichtet.
Am 15. August 2024, dem „indischen Nationalfeiertag, an dem die Föderation den Jahrestag ihrer Unabhängigkeit feiert“, bekräftigte der indische Regierungschef seinen Willen, so bald wie möglich ein neues säkulares Zivilgesetzbuch einzuführen: „Das Zivilgesetzbuch, das wir haben, ist durch das übertriebene Hervorheben des Dienstes an der Gemeinschaft gekennzeichnet und beruht letztlich auf Diskriminierung“, erklärte Modi laut La Croix.
Offiziell heißt es, das Projekt sei von dem Wunsch nach der Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz innerhalb einer großen, uneinheitlichen Gruppe von Staaten getrieben, in denen derzeit eine Vielzahl von ethnischen oder religiösen Gemeinschaften nebeneinander existieren. Die Realität könnte jedoch ganz anders aussehen.
Die syro-malabarische katholische Kirche hat ihrerseits allerdings bereits in der Vergangenheit „eine Vereinheitlichung des Rechts, die dazu führen könnte, dass hinduistische Werte der gesamten Gesellschaft aufgezwungen werden“, angeprangert. Vor kurzem erinnerte La Croix daran, dass die Föderation der katholischen Vereinigungen der Erzdiözese Dehli davor warnte, dass eine „vereinte“ Nation noch keine „einheitliche“ Nation bedeute.
Derzeit ist „das Strafrecht für alle Bürger verbindlich, aber für Ehe, Scheidung, Erbschaft, Vormundschaft oder Adoption“ gelten eigene Regeln, die auf lokaler Ebene „von den Religions- oder Stammesgemeinschaften“ beschlossen werden, so La Croix weiter.
„Hindus, Muslime, Christen, Parsen, aber auch die zahlreichen Stämme haben in diesen verschiedenen Bereichen ihre eigenen Gesetze oder Gebräuche“, ergänzt die Zeitung. Es handelt sich um einen „Nachlass“ der britischen Krone, die die Völker des großen Landes mit Umsicht regierte. Im Rahmen der Entkolonialisierung wollen die Hindu-Nationalisten dies jedoch beseitigen.
Damit wäre eine der „drei historischen Forderungen der Bharatiya Janata Party“ (BJP) erfüllt. Zusammen mit der „Errichtung eines Tempels für den Gott Rama in Ayodhya, der im Januar dieses Jahres fertiggestellt wurde“, sowie dem Ende der „Autonomie Kaschmirs, die Ende letzten Jahres beschlossen wurde“, wie La Croix berichtet.
Modi hat bei der Absicht, ein einheitliches Zivilgesetzbuch zu gestalten, sicher seine Hintergedanken: Er will den knappen Sieg bei den letzten Parlamentswahlen vergessen machen. Die scheinbare persönliche Niederlage hängt ihm, obwohl er sich persönlich vollumfänglich in die Kampagne eingebracht hatte, noch nach.
Um an der Macht zu bleiben, muss Modi Bündnisse mit regionalen Parteien eingehen und seine eigene Partei wieder vereinen. Der Entwurf des Zivilgesetzbuches ist seiner Meinung nach geeignet, diese Vereinigung zu erreichen, da er gut in die Richtung des von den Nationalisten vertretenen Hindutva – der Rückbesinnung auf die hinduistische Identität, die angeblich untrennbar mit der indischen Zivilisation verbunden ist – passt.
Es ist zu beachten, dass sich nicht alle Katholiken über die Linie einig sind, die in Bezug auf den Entwurf eines einheitlichen Zivilgesetzbuches einzuschlagen ist. Im Jahr 1993 veröffentlichte die katholische Wochenzeitung The Examiner in Bombay einen Artikel, in dem darauf hingewiesen wurde, dass dies eine Chance für die Kirche sei.
Aber weshalb? „Denn in Indien kann ein Nichtchrist kein Christ werden, wenn er nicht bereit ist, dem Gesetzbuch der bürgerlichen Gesetze, unter dem er aufgewachsen ist, abzuschwören und den für Christen geltenden Rechtsstatus anzunehmen. Das gilt für alle Menschen, die sich zum Christentum bekennen.
Wenn ein Hindu getauft wird, verzichtet er auf das traditionelle indische Gesetz, das ‚Hindu-Gesetz‘, und er muss den rechtlichen Status von Christen akzeptieren. Vielen fällt es schwer, diese Änderung des Zivilrechts zu akzeptieren, weil sie Umwälzungen auf ziviler und sozialer Ebene mit sich bringt“, wandte The Examiner damals ein.
Nichtsdestotrotz lassen die antichristlichen Bestrebungen der BJP und ihrer Verbündeten dreißig Jahre später wenig Illusionen über die Absichten hinter der Verkündung eines einheitlichen Zivilgesetzbuches zu.
(Quellen: Missions Etrangère de Paris/La Croix – FSSPX.Actualités)
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