Menschenliebe ein Verbrechen? Im Libanon eskaliert die Lage

Quelle: FSSPX Aktuell

Majar Musa Al-Hajj

Nachdem der maronitisch-katholische Erzbischof von Haifa verhaftet wurde, beschuldigt Kardinal Raï die libanesische Hisbollah, einen Polizeistaat aufzubauen. Die Hisbollah wirft ihm und andren vor, mittelbar Geld und Medikamente für Familien, die durch den Krieg getrennt wurden, gesammelt zu haben; außerdem habe er Verbindungen zu Israel. Der Kardinal weist alle Vorwürfe zurück.

Die Spannungen zwischen Kardinal Béchara Raï, dem maronitischen Patriarchen, und der Hisbollah nehmen zu. Weil die Angelegenheit komplex ist, hilft ein Blick zurück auf die seit Jahren angespannten Beziehungen zwischen Bkerke, dem Sitz des Patriarchats, und der schiitischen Miliz. 

Seit dem Rückzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon im Jahr 2000 sind libanesische Familien nach Israel geflohen. Im Libanon werden sie als Verräter angesehen und beschuldigt, mit Israel zusammengearbeitet zu haben, da der jüdische Staat als Feind angesehen wird, gegen den der Libanon noch immer Krieg führt. Deswegen verbietet das libanesische Gesetz jede Art von wirtschaftlicher Beziehung zu israelischen Staatsbürgern. Gemäß Strafgesetzbuch wird jeder Libanese mit einer Haftstrafe von mindestens einem Jahr bestraft, wenn er versucht, mit einem Bürger des Feindstaats ein Handels-, Kauf-, Verkaufs- oder Tauschgeschäft zu tätigen. Die Grenzübertritte des maronitischen Klerus jedoch werden durch eine Klausel im Waffenstillstandsabkommen mit Israel aus dem Jahr 1949 geschützt. Jegliche Art von Geldtransporten, die nicht mit der Kirche zusammengehören, ist allerdings verboten. 

Dazu kommt: Der Libanon befindet sich derzeit in einer dramatischen Lage, womit die Schuldenkrise, der Zusammenbruch des Bankensystems, die anhaltende Abwertung der Währung und steigende Lebenshaltungskosten gemeint sind. Alles gekrönt von der Explosion des Hafens von Beirut, die den letzten Nagel in den Sarg der libanesischen Wirtschaft geschlagen hat. 80 Prozent der Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze und leiden unter Medikamenten-, Strom- und Treibstoffknappheit. Während das Vertrauen in die politische und finanzielle Elite des Landes verloren gegangen ist, versucht die maronitische Kirche, die Not der Libanesen zu lindern, indem sie vor allem Geld und Medikamente aus Israel durchleitet. 

Die Fakten im speziellen Fall: Am 18. Juli 2002 wurde der maronitische Erzbischof von Haifa, Msgr. Moussa el-Hage, gegen Mittag von der Sûreté Générale (SG) an der Grenze festgenommen und zwölf Stunden lang verhört. Gegen Mitternacht wurde er freigelassen, nachdem man ihm seinen Reisepass, sein Handy, 460.000 US-Dollar und Medikamente abgenommen hatte. In einer am Donnerstag, dem 21. Juli, von der SG veröffentlichten Erklärung hieß es, die fragliche Maßnahme sei „legal“. Auf der Seite von Bkerké ist man allerdings der Ansicht, dass der Vorfall einen schwerwiegenden Präzedenzfall schafft, denn ein Erzbischof kann nicht ohne Rücksprache mit seiner kirchlichen Autorität verhört werden. Aber was genau wird dem Erzbischof vorgeworfen? 

Die vorgeworfenen Handlungen sind die Beförderung von Geldern aus einem feindlichen Staat sowie die Einfuhr israelischer Medikamente, deren Rezepte in Hebräisch abgefasst sind und deren Verpackung ebenfalls in dieser Sprache beschriftet ist. Kassem Hashem, ein Abgeordneter der Amal-Fraktion, war der Ansicht, dass solche Handlungen „gegen die Gesetze zum Boykott Israels verstoßen (...) Was auch immer die Hilfe sein mag, sie darf nicht aus einem feindlichen Staat kommen“, und verwies auf die Gesetzeslage. Laut der pro-Hisbollah-Zeitung al-Akhbar soll der Erzbischof einem Soldaten der libanesischen Armee Geld übergeben haben, der vom Mossad rekrutiert und anschließend vor ein Militärgericht gestellt wurde. Er soll auch gewarnt worden sein, dass das Geld, das er bei sich trug, von Libanesen bereitgestellt wurde, die wegen Kollaboration mit Israel verurteilt worden waren, und dass es konfisziert werden könnte, weil es aus einem feindlichen Staat stammte. 

Der Erzbischof weist alle diese Anschuldigungen entschieden zurück. In einem Interview mit L'Orient - Le Jour (OLJ) erklärte er, dass es sich bei den transportierten Beträgen „um Hilfsgüter handelt“, die er seit Monaten an die Familien weiterleitet. Er leistet diesen Dienst seit zehn Jahren. „Jede Person in den besetzten Gebieten, die Geld an ihre Familie im Libanon schicken möchte, kommt in die Gemeinde, um mir den Umschlag zu übergeben. Diejenigen, die mich festgenommen haben, behaupten, dass das Geld für die Familien von israelischen Agenten bestimmt ist. Es handelt sich nicht um Agenten, sondern um Libanesen, die nach Israel geflohen sind", fügte er hinzu. Der ehemalige Minister Sejaan Azzi, ein enger Vertrauter des maronitischen Patriarchen, versicherte auf Anfrage von L'OLJ, dass die Aktivitäten, die Bischof Hage vorgeworfen werden, „üblich, sozial, humanitär und religiös sind (...) Sie werden seit dem 19. Jahrhundert durchgeführt.“ 

In seinem Interview mit L'OLJ versicherte Musa el-Hage, dass „seine Verhaftung darauf abzielt, dem Patriarchen eine starke Botschaft zu senden.“ Die Verhaftung ist in einem doppelten politischen Kontext zu sehen. Einerseits kritisiert Patriarch Raï die Hisbollah und fordert die Neutralität des Libanon, was die schiitische Miliz sehr verärgert. Andererseits spricht der Generalsekretär der schiitischen Partei, Hassan Nasrallah, in letzter Zeit von der Gefahr eines bevorstehenden Krieges mit Israel. In diesem Zusammenhang ist es wahrscheinlich, dass die Partei versucht, alle Personen oder Handlungen, die direkt oder indirekt mit dem jüdischen Staat in Verbindung stehen könnten, zu eskalieren. 

„Was passiert ist, ist eine Beleidigung für die maronitische Kirche, das Patriarchat und mich persönlich“, sagte Kardinal Béchara Raï am Sonntag, den 24. Juli, vor einer Menge von Gläubigen, die sich zu seiner Unterstützung vor dem Sommersitz des maronitischen Patriarchats in Dimane im Norden des Libanon versammelt hatten. Der Patriarch warnt: „Der Libanon ist dabei, ein Polizeistaat zu werden, ein inquisitorischer Staat, in dem jeder jeden überwacht, ein Staat des Generalverdachts und der Denunziation. […] Israel und die Solidarität mit den Palästinensern als Vorwand zu benutzen, um die Verhaftung eines Bischofs zu rechtfertigen und eine Blockade zu verhängen, die für jeglichen humanitären Transit in den Libanon undurchlässig ist, ist ein Angriff auf ein Recht, das seit langem nicht nur von der maronitischen Kirche, sondern auch von der griechisch-katholischen Kirche, die ebenfalls einen Bischofssitz in Haifa hat, erworben wurde.“ 

Diese Haltung steht im Einklang mit der vom Lateinischen Patriarchat von Jerusalem geäußerten Position, das es nach den Worten des Patriarchen Pierbattista Pizzaballa für „notwendig für die Erhaltung der Präsenz der Christen im Heiligen Land“ hält, „die Solidarität mit den Christen im Nahen Osten“ zu fördern. Pizzaballa: „Wir stimmen Bischof Moussa El Hage voll und ganz für das Werk der Nächstenliebe, das er großzügig vollbringt, zu. Bei dem er regelmäßig materielle Hilfen und Medikamente, die von Wohltätern gesammelt werden, an arme libanesische Familien aller Religionen - Christen, Muslime und Drusen - bringt, die sich in großen Schwierigkeiten befinden. […] Es wäre eine Kollektivstrafe für die Libanesen, die gezwungen sind, in Israel zu wohnen, und für die maronitischen Gemeinden im Heiligen Land, wenn man jeglichen humanitären Transit zwischen Israel und dem Libanon verbieten würde.“ Patriarch Raï erklärte, er sei entschlossen, sich den Verboten, die er als „politisch“ betrachte, zu widersetzen und die Mission der maronitischen Kirche fortzusetzen.