Paul Bourget: Die Weitsicht des katholischen Romanciers

Quelle: FSSPX Aktuell

Paul Bourget

Paul Bourget, einer der wichtigsten Vertreter des französischen Renouveau catholique, kann uns bis heute etwas sagen. Er hat immer wieder die großen Fragen der Gesellschaft und ihrer Entwicklung berührt. In einem Vortrag hat Eddy Hanquier, Professor für Literatur am Institut Universitaire Saint-Pie X, einige wichtige Aspekte davon behandelt. Paul Bourget ist insbesondere in Deutschland weitgehend in Vergessenheit geraten. Es lohnt sich aber, sein Werk wiederzuentdecken. Der Vortrag wurde in Plaisir de Lire Nr. 199 (Juni 2022) veröffentlicht. Hier einige Auszüge daraus. 

Bourget hat sich bemüht, auf meisterhafte Weise die beiden großen Fragen zu behandeln, die im Nachhinein als Hauptverantwortliche für die Gefährdung oder sogar den Zusammenbruch unserer christlichen Zivilisation erscheinen. 

Diese beiden großen Fragen sind erstens die szientistische Herangehensweise an die Phänomene und zweitens die modernistische Herangehensweise an die christliche Religion. Die erste behandelte er in Le Disciple (deutsch: Der Schüler) und ließ uns ihre Verwüstungen ermessen; die zweite behandelte er in Le Démon de midi, indem er einen modernistischen Priester in Szene setzte. 

Diese beiden Irrtümer haben ein unglaubliches Durcheinander in unsere Wahrnehmung von natürlichen und übernatürlichen Phänomenen gebracht. Der Modernist urteilt über den Wert und die Wahrheit religiöser Dogmen, indem er sein Leben, das Gefühl, das er von den Dingen hat, als einzigen Maßstab nimmt. Seine Erfahrung wird zum einzigen Maßstab für die Beurteilung von Wert und Wahrheit religiöser Dogmen, seine persönliche Wahrheit transzendiert die offenbarte Wahrheit, der Mensch macht sich zum Richter über Gott. 

Das ist eine ungeheuerliche Umkehrung, eine absolute Revolution. Bourget zeigt dies in Le Démon de Midi, einem Roman, der zu diesem Thema sehr aufschlussreich ist, auf den wir aber heute im Rahmen dieses einen Vortrags nicht eingehen können. 

Bevor wir mit dem Szientismus fortfahren, möchte ich, dass wir Folgendes festhalten: Bourget beschreibt uns, wie man die Verpuffung dieser monströsen Ideen in einem Leben nennen muss. Und das konnte er nur in Romanen tun, denn Romane erzählen Geschichten, stellen Leben dar, die folglich anfällig dafür sind, von Ideen, von Systemen beeinflusst zu werden. 

Und das ist es, was Bourgets Romane im Grunde erzählen: Sie erzählen das tragische und wahrhaft moderne Abenteuer von Leben, die von modernen Ideen durchkreuzt werden. (...) 

Der Begriff Szientist wurde 1898 – ein Jahr vor dem Erscheinen von Le Disciple – von dem damals sehr bekannten Schriftsteller Romain Rolland als Bezeichnung für eine Denkbewegung geprägt, der zufolge wissenschaftliche Erkenntnisse die Lösung aller philosophischen, sozialen, moralischen und politischen Probleme der Menschheit ermöglichen würden.

Für den Szientisten würde die Wissenschaft alle anderen Disziplinen ersetzen und beispielsweise den Beitrag der Philosophie oder der Theologie wertlos machen. Sie würde den experimentellen Wissenschaften den Vorrang einräumen. 

Das Interessante an Bourgets Roman ist, dass er zeigt, was eine Seele für den Szientismus bereitstellen kann und wie gefährlich er sich entwickeln kann. 

Was erzählt Le Disciple? Die Geschichte eines Philosophen, Adrien Sixte, der sich ausschließlich seinen Büchern widmet und eines Tages erfährt, dass der junge Mann, der sich als sein Schüler bezeichnet, ein gewisser Robert Greslou, in ein Verbrechen verwickelt sein soll. 

Die Geschichte dieses Verbrechens wird durch das Geständnis erzählt, das sein Schüler an ihn richtet und in dem er von dem Experiment berichtet, das er an einem jungen Mädchen durchgeführt hat ... und dabei treu den Ideen des Meisters gefolgt ist. Ein Experiment, das das junge Mädchen in den Selbstmord treiben wird. 


Den vollständigen Text können Sie in französischer Sprache lesen und hier erhalten: Plaisir de Lire - 57 route Nationale 80160 Flers-sur-Noye.

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