Taktische Spielchen: umstrittene Justizreform in Israel verabschiedet

Quelle: FSSPX Aktuell

Demonstrationen gegen das Justizreformgesetz

Die israelische politische Rechte ignorierte die monatelangen Proteste und verabschiedete nun das sogenannte „Gesetz der Vernunft“. Damit soll wohl der Spielraum des Obersten Gerichtshofs eingeschränkt werden. Er wird nun die Einsprüche gegen das Gesetz prüfen müssen und einem Machtkampf in Israel letztlich hilflos gegenüber stehen.

Israel ist ein tief gespaltenes Land und trotz des einheitlichen Votums der aktuellen Mehrheit in der Knesset werden die institutionellen Auseinandersetzungen noch lange nicht vorbei sein. So lässt sich die politische Lage in Israel am Tag nach der Annahme des ersten Teils der Justizreform durch die Knesset zusammenfassen, die von der Regierung, die den Likud, religiöse Parteien und nationalistische rechtsextreme Bewegungen vereint, angestrebt wurde und weiterhin wird. 

Die 29 Wochen dauernden Demonstrationen und die von Präsident Isaac Herzog und vielen jüdischen Gemeinden in der Diaspora wiederholt geäußerten Bedenken hielten Benjamin Netanjahu nicht davon ab, auf Konfrontationskurs zu gehen. Er ließ das als „vernünftig“ deklarierte Gesetz mit einer Mehrheit von knappen 64 von 120 Stimmen verabschieden. Oppositionelle verließen aus Protest den Plenarsaal, ohne ihre Stimme abzugeben. Diesen Vorgang kommentierten mehrere israelische Zeitungen auf indem sie auf der ersten Seite ein großes schwarzes Bild mit der Überschrift „Ein schwarzer Tag für die Demokratie“ abdruckten. 

Mit der Abstimmung werden die Möglichkeiten des Obersten Gerichtshofs eingeschränkt, in die von der Knesset verabschiedeten Gesetze einzugreifen. Die Angelegenheit ist insgesamt juristisch heikel, da Israel aufgrund des erbitterten Widerstands der religiösen Parteien, die sich nicht gegen die Tora stellen wollen, nie eine Verfassung verabschiedet hat. Das Land verfügt daher „nur“ über 13 grundlegende Gesetze, die von qualifizierten Mehrheiten im israelischen Parlament verabschiedet wurden. Die 13 grundlegenden Gesetze definieren die Wahlregeln, den institutionellen Aufbau und einige grundlegende Prinzipien, an die sich jedes Gesetz halten muss; allerdings handelt es sich dabei um eher begrenzte Regulierungen. Aus diesem Grund hatte der Oberste Gerichtshof bisher wiederholt das etwas schwammige Prinzip der sozial-politischen „Vernunft“ angewandt, um Rechtsbräuche einzuschränken, die zwar nicht gegen eines der Grundgesetze verstoßen, aber nach Ansicht der Richter gegen die Regeln der Fairness und Gerechtigkeit verstoßen. 

So wurden in der Vergangenheit mehrfach rechtsnationalistische Parteien vom Obersten Gerichtshof bei Vorschlägen ausgebremst, die offen rassistisch waren oder den Rechten der Palästinenser in anderen Bereichen des israelischen Rechtssystems schadeten. Aus diesem Grund hat die Knesset jetzt also unter dem Druck der Regierungsparteien über ein einfaches Gesetz festgelegt, dass Richter sich nicht mehr auf das Kriterium der „Angemessenheit“ berufen können, um im Parlament verabschiedete Gesetze abzulehnen. Das Spiel ist allerdings noch lange nicht entschieden, da die für ein neues Grundgesetz erforderliche qualifizierte Mehrheit nicht zustande kam, sondern nur eine einfache Mehrheit. 

Unmittelbar nach der Verabschiedung des Gesetzes reichte eine Vereinigung von Juristen – die sich als Bewegung für eine gute und anständige Regierung in Israel versteht – eine Petition ein, in der sie den Obersten Gerichtshof aufforderte, gegen das Gesetz einzuschreiten. Die Präsidentin des höchsten Gerichts, Esther Hayut, die sich zu dem Zeitpunkt in Deutschland aufhielt, kehrte sofort nach Israel zurück und kündigte an, dass die Klage so bald wie möglich geprüft werde. 

Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass das Gericht in den nächsten Tagen gegen das „Gesetz der Vernunft“ entscheiden und damit den Konflikt zwischen der Judikative und der Legislative offiziell eröffnen wird. Ein weiteres Problem in dem Zusammenhang wurde allerdings noch nicht erwähnt, nämlich die Position des staatlichen Generalstaatsanwalts Galia Baharav-Miara, der in offenem Konflikt mit der Justizpolitik der Regierung Netanjahu steht. Es sieht so aus, als würde er das neue Gesetz sicher nicht vor dem Obersten Gerichtshof verteidigen. Die politischen Machthaber könnten sich deshalb womöglich auf das soeben verabschiedete Gesetz berufen, um das vielleicht negative Urteil des Obersten Gerichtshofs zu verwerfen. Das wiederum könnte zu einer großen Krise und Spannungen zwischen den geteilten Gewalten des israelischen Staates führen.