Die unbefleckte Empfängnis und die göttliche Barmherzigkeit

Quelle: FSSPX Aktuell

Die Unbefleckte Empfängnis Marien lässt uns ein tiefstes Prinzip unseres ganzen Daseins erkennen, die göttliche Barmherzigkeit.

In der Immaculata Conceptio zeigt Gott der Welt, wer er gegenüber seinem Geschöpf von vornherein ist, und wie er dieses grundsätzliche Verhältnis zu ihm will: es ist das gänzliche erbarmungsvolle Sich Hinneigen zu dem Nichtigen. Gott schenkt völlig umsonst seine Liebe, ohne irgendetwas als Gegenleistung zu bekommen. Mehr noch: dieses Schenken ist der allererste Akt Gottes uns gegenüber, der jeglicher möglicher Antwort unserseits vorausgeht. Er engagiert seine Allmacht und Weisheit, um grenzenlos und überfließend seine Liebe zu schenken, sein Licht, sein Glück, seine innere Freude. Gott will, dass wir ganz aus diesem ewig überfließenden Schenken existieren, er will uns überfüllen mit seinem Leben. Das kann er aber nur, wenn wir uns auch beschenken lassen wollen, wenn wir uns seinen Geschenken ganz öffnen.

Durch die Sünde haben wir diesen göttlichen Liebesfluß blockiert und statt uns von ihm beschenken zu lassen, wollten wir uns einbilden, selber nehmen zu können, wie wenn wir ein Recht auf diese Gaben hätten. Dies ist die Haltung des Stolzes, welcher Gottes innerstes Wesen aber auch unser innerstes Wesen verleugnet und ins Gegenteil verkehrt. Gott wird zum Diener, der Mensch will sein wie Gott.

Gibt es nun eine Möglichkeit, dass wir den Menschen in seiner eigentlichen Vorherbestimmung, so wie Gott ihn erdacht hat, wiederfinden? Gibt es einen Menschen, der die Barmherzigkeit Gottes so sehr in sich aufgenommen hat, dass er selber „reine Barmherzigkeit“ wird gemäß der Seligpreisung Christi: „Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen“? Die Immaculata! Jede Fiber ihres Dasein ist eine Widerspiegelung der Barmherzigkeit Gottes. Sie empfängt alles von ihm und nimmt es auf, so sehr, dass sie für die ganze Welt zur „Mutter der göttlichen Barmherzigkeit“ wird.

In der Immaculata Conceptio erscheint also von neuem, wer Gott eigentlich für uns ist, und was er sein will: überfließendes Schenken, Fürsorge des allerbesten Vaters, welcher nicht erlaubt, dass seine unbefleckte Tochter auch vom kleinsten Übel betroffen sei, welcher dem Bösen nicht gestattet, Zugang zu ihrer Seele zu finden.

Im Maße wir in die Haltung ihres totalen Empfangens eingehen, erlauben wir Gott wieder, uns gegenüber barmherzig zu sein, überfließend zu schenken, angefangen von der überwältigenden Geste der Reinigung von unseren Sünden, wie er nicht müde wird, uns immer wieder zu verzeihen, nicht auf unsere Verkehrtheit und Untreue zu schauen, sondern selbst das kleinste Anzeichen der Reue zu benützen, um uns wieder hineinzutauchen in seine grenzenlos schenkende Liebe.

So führt er uns Schritt für Schritt ein in das wahre Verhältnis der Geschöpfes zu seinem Schöpfer, in dem er ihr Immaculata-Sein in uns verwirklicht. Damit wird Maria zur Mittlerin seiner Barmherzigkeit, zur Mutter der Barmherzigkeit. Aus diesem Grunde verstehen wir, dass wo immer die Menschen zu ihr flehen, sie instinktiv wissen, wie das Kind von seiner liebenden Mutter weiß, dass sie „barmherzig“ ist, nur barmherzig, voll mütterlichen Erbarmens. Und gerade so stellt sie den Bezug des Menschen zu Gott wieder her als dessen erstes Prinzip und letztes Ziel, Alfa und Omega.