Brief an die Freunde und Wohltäter Nr. 83
Während der Zustand der Gesamtkirche fortschreitend Schaden erduldet, erinnert uns S. Ex. Bischof Fellay an die sozusagen prophetische Vision des späteren Papstes Benedikt XVI. über die Zukunft der Kirche, welche er vor 17 Jahren hatte. Inmitten dieser Katastrophe hört die Bruderschaft nicht auf, sich zu entwickeln und an der Heiligung der Seelen zu arbeiten. Ganz besonders liegen ihr die christlichen Familien, die katholischen Schulen, die Ignatianischen Exerzitien und über allem die Ausbildung und Heiligung der Priester am Herzen. Liebe Freunde und Wohltäter, Bereits vor 17 Jahren präsentierte der zukünftige Papst Benedikt XVI. seine Schau von der Zukunft der Kirche; diese erschien damals sehr pessimistisch. Er sah eine solche Zersplitterung des mystischen Leibes voraus, dass er ihn inmitten eines allgemeinen Niedergangs auf eine geringe Zahl kleiner, lebender Gruppen reduzierte: „Vielleicht müssen wir von den volkskirchlichen Ideen Abschied nehmen. Möglicherweise steht uns eine anders geartete, neue Epoche der Kirchengeschichte bevor, in der das Christentum eher wieder im Senfkorn-Zeichen stehen wird, in scheinbar bedeutungslosen, geringen Gruppen, die aber doch intensiv gegen das Böse anleben und das Gute in die Welt hereintragen…“ [1]
„Sie wird weniger mit den Großgesellschaften identisch sein, mehr Minderheitenkirche sein, in kleinen lebendigen Kreisen von wirklich Überzeugten und Glaubenden und daraus Handelnden leben. Aber gerade dadurch wird sie, biblisch gesprochen, wiederum ‚Salz der Erde‘.“ [2]
Eine verheerende Zukunftsvision der Kirche Ist diese Vision eine Frucht des persönlichen Scharfsinns eines Kardinals Josef Ratzinger oder ist ließ er sich von einer anderen Quelle inspirieren, wie das Geheimnis von Fatima? Er allein kann Antwort darauf geben. Auf jeden Fall wohnen wir besonders seit dem Konzil einem schrittweisen, langsamen Verschwinden der Kirche bei, und zwar der Kirche, wie sie sich während mehr als 1500 Jahren dargestellt hatte, d. h. als eine Gesellschaft, die das ganze menschliche Leben, das ganze Gemeinwesen, tief geprägt hat, die sich darum bemühte, ein tief harmonisches Ganzes mit dem Zeitlichen zu bilden, auch wenn die zeitliche Macht oft versuchte, in die geistlichen Machtbefugnisse der Kirche einzugreifen. Seit der Französischen Revolution steht nicht nur die Trennung dieser beiden Gewalten auf dem Programm; es macht sich auch ein beständiger Wille bemerkbar, den so wohltuenden Einfluss der Kirche auf die menschliche Gesellschaft zu bekämpfen und zu beschränken. Seit dem Konzilsende ist die Präsenz der Kirche – mit dem erschreckenden Abnehmen der Priesterberufungen, dem Verlust von Hunderttausenden von Ordensleuten, welche ihr Leben für Gott und den Nächsten hingegeben hatten –, in den Schulen, Krankenhäuser, im gesellschaftlichen und politischen Leben praktisch verschwunden. Keine ernsthafte Maßnahme wird angewandt, um dieses katastrophale Verschwinden der Kirche in der Gesellschaft einzudämmen.
Sie ist von jetzt an praktisch in die Sakristeien verbannt. Schlimmer noch, in den Ländern, wo die Kirche ihre Wohltaten einst austeilte, in den ehemals christlich Ländern, veröden die Kirchen und Sakristeien… Wir sind nicht weit von der beinahe prophetischen Schau eines Kardinal Ratzingers entfernt. Aber zu diesen äußeren Elementen kommen noch andere hinzu, welche das innere Leben der Kirche betreffen; es sind Anzeichen einer Schwäche vor einem nicht mehr äußeren, sondern inneren Feind. Immer mehr löst sich die Einheit des Glaubens und die Einheit der Regierung in der heiligen Kirche auf. Was die liturgische Einheit betrifft, so ist sie mit den durch die neue Messe hervorgebrachten Öffnungen in Richtung der „Kreativität“, mit der Vermehrung der eucharistischen Hochgebete schon längst in die Brüche gegangen.
Was die Moral betrifft, so ist die letzte Synode über die Familie ein tragischer Hinweis auf die Vervielfältigung völlig entgegengesetzter Meinungen, welche in diesem Bereich herrschen. Und welche die Autorität nicht mehr eindämmt, wenn sie sie nicht sogar begünstigt... Inmitten dieser von vielen Beobachtern wahrgenommenen Katastrophe erscheint unsere bescheidene Bruderschaft zweifelsohne wie eine „bedeutungslose, geringe Gruppe, die aber doch intensiv gegen das Böse anlebt und das Gute in die Welt hereinträgt...“ Wenn uns einerseits der Blick auf die entstellte Kirche zutiefst betrübt, so singen wir andererseits alle Tage das Magnifikat für die Wundertaten, welche die göttliche Allmacht uns noch vollbringen lässt.
Die christliche Familie Wir möchten Ihnen gerne mit diesen wenigen Zeilen einen Überblick über die gegenwärtige Entwicklung der Bruderschaft geben. Trotz der von allen Seiten erlittenen Schläge hört sie nicht auf, die Gnade des lieben Gottes auszubreiten und die Seelen auf ihrer harten und gefahrvollen Pilgerreise in den Himmel zu stärken. Seit langem sind wir uns im klaren, dass wir unser besonderes Augenmerk auf die christlichen Familien richten müssen, diesen geheiligten Stätten, wo Kinder das Licht der Welt erblicken nicht nur für das Leben auf dieser Erde, sondern für das Leben im Himmel. Die Raffiniertheit, mit welcher dieses Heiligtum grausam zerschlagen wird – seit dem aufkeimenden Leben des Ungeborenen im Mutterschoss – hat etwas Furchterregendes und Diabolisches an sich. Wir können unseren Herrn nur preisen und sein fruchtbares Gnadenwirken bewundern, wenn wir vor den vielen kinderreichen Familien stehen, welche unverzagt die Tugend üben und Gottes Ehre suchen, ohne dabei ihre Pflichten gegenüber dem Nächsten und der Gesellschaft zu vernachlässigen! Ja, geliebte Familien, wenn das christliche Leben auch seine Ansprüche stellt, so fehlt es nie an Gottes Beistand und Gnade; mögen die Umstände auch oft einen gewissen Heldenmut fordern.
Sie geben durch die einfache Tatsache Ihres christlichen Lebens und Ihrer Bemühungen den Beweis, dass ein solches Leben auch heute noch möglich ist und dass jene, welche die Gebote Gottes aufgeben, um andere, neue Wege mehr im Einklang mit der modernen Welt zu suchen, Pessimisten sind, welche den Glaubensgeist, der jeden Christen beflügeln sollte, verloren haben. Die katholische Schule Dieses Leben aus dem Glauben ist schutzbedürftig. Um es zu entfalten, braucht es katholische Schule. Dies war immer eines der Hauptanliegen der Kirche. Deshalb legt sie den Eltern die schwere Verpflichtung auf, über die katholische Erziehung ihrer Kinder zu wachen und sie droht sogar noch heute mit Sanktionen für jene, die ihre Pflicht versäumen! [3] Dies stellt eine ernste, ganz konkrete Sorge dar: Wo soll man in unseren Tagen echt katholische Schulen finden, an denen die Glaubenslehre alle Bereiche durchdringt? Wo gibt es Einrichtungen, welche die künftigen Familienväter und -mütter auf die notwendigen Kämpfe in dieser Welt vorbereiten, um schlussendlich den Himmel zu erobern? Deshalb gilt ein Hauptteil unserer Bemühungen den Schulen. Wir widmen ihnen auf der ganzen Welt den Großteil unserer menschlichen und materiellen Ressourcen.
Tatsächlich bilden gut hundert Schulen, von verschiedener Größe, tausende von überzeugten Christen für die Welt von morgen heran. Die Ignatianischen Exerzitien Wenn die Familie und die Schule einen unerlässlichen Schutz der heranwachsenden Jugend bilden, was kann man tun, um jene zu unterstützen, die ihr elterliches Heim verlassen und in die Welt treten? Es ist uns ein großes Anliegen, für die Beharrlichkeit im Guten und in der Tugend dieser jungen Erwachsenen, für die Wahrung ihrer Seelen im Gnadenstand in einer pervertierten Welt zu sorgen. Das stärkste Heilmittel finden wir in den Ignatianischen Exerzitien. Wir betrachten sie als einen der größten Schätze und Mittel zur Heiligung, welches uns nach dem hl. Messopfer und dem Rosenkranz in die Hände gelegt wurde. Sie sind wie gemacht für unsere Zeit, denn sie geben neuen Mut, Kraft und den nötigen Heldenmut allen Seelen guten Willens.
Deshalb laden wir Sie inständig ein, dieses Mittel, das zu Ihrer Verfügung steht, nicht zu vernachlässigen. Ohne Zweifel betrachten wir die Exerzitien als eines der Schlachtrosse der Bruderschaft und als den Grund dieses wahren Gnadenwunders, welches das christliche Leben heute darstellt. Der Priester und die Messe Aber das übernatürliche Leben wäre ohne den Priester nicht möglich. Er ist das erlesene, von Gott gewollte und auserwählte Werkzeug, um dieses Leben im mystischen Leib auszubreiten, vor allem durch das heilige Messopfer.
Dieses innige Band, welches den Priester mit der Messe verbindet, ist das Testament, welches uns Erzbischof Lefebvre hinterlassen hat. Denn die Messe ist die Quelle aller Heiligkeit, und der Priester muss, mehr als jeder andere, sich daran tränken, um dann auch die ihm anvertrauten Seelen daraus Nutzen ziehen zu lassen. Unser Herr sagte selbst: „Und ich heilige mich für sie, dass auch sie geheiligt seien in Wahrheit“ (Joh 17,19). Dieses Geheimnis stellt das Herz unserer Seminare dar. Wir wachen eifersüchtig darüber und pflegen alles, was zur Verschönerung der liturgischen Zeremonien beitragen kann. Die Schönheit der äußeren Zeichen widerspiegelt die Erhabenheit der Geheimnisse, durch welche sich unsere Erlösung vollzieht. Deshalb sind diese großartigen und zugleich trauten Zeremonien gleichsam ein Vorspiel des Himmels.
Es bedeutet die Freude und das tägliche Vorrecht unserer rund 200 Seminaristen sowie ungefähr 40 Vorseminaristen, verteilt auf unsere sechs Seminare auf vier verschiedenen Kontinenten. In den Vereinigten Staaten zwingt uns die wachsende Zahl, ein neues Seminar in Virginia zu errichten; nächsten Frühling sollte es unter Dach sein. Daneben gibt es den Bau zahlreicher Kirchen ein wenig überall auf der Welt, die von der Dynamik des Glaubens zeugen. Ja, wirklich, der Glaube kann Berge versetzen! Ich glaube fest, dass nur der Glaube dieses Phänomen, welches die menschlichen Kräfte übersteigt, erklären kann. Dank sei Gott und Ihnen für Ihre konstante Großzügigkeit und Ihren glühenden Eifer, die uns die Verwirklichung dieser Projekte ermöglichen. Ein herzliches Vergelt’s Gott! Ich versichere Sie des dankbaren Gebetes unserer Seminaristen, Priester und Ordensleute, welche täglich den lieben Gott bitten, Ihnen Ihre Wohltaten hundertfach zu vergelten. Möge Unsere Liebe Frau Sie, liebe Freunde, in der Liebe und im Frieden erhalten, und möge ihr Unbeflecktes Herz Sie alle zur ewigen Seligkeit geleiten.
am Fest Mariä Opferung, 21. November 2014 + Bernard Fellay
[1] Salz der Erde: Christentum und katholische Kirche an der Jahrtausendwende, Dt. Verlags-Anstalt, 1996, S. 17 [2] Op.cit., S. 236 [3] vgl. Kirchenrecht von 1917, Canon 2319, § 2-4; Kirchenrecht von 1983, Canon 1366