Predigt von Bischof Alfonso de Galarreta anlässlich der Priesterweihen in Ecône (Schweiz) am 29. Juni 2011
Man kann nicht zwischen Glauben und Liebe wählen
oder
Wir stehen nicht vor einer Wahl zwischen Glauben und Liebe
Exzellenzen, liebe Mitbrüder, liebe Weihekandidaten, meine lieben Brüder,
wir sind hier wiederum im Seminar zu Ecône versammelt, im Mutterhaus der Priesterbruderschaft St. Pius X., um die Diakonats- und Priesterweihen vorzunehmen, also das zu tun, was die wesentliche Aufgabe der Priesterbruderschaft ist. Handelt es sich doch darum, das katholische Priestertum zu übermitteln, zu bewahren und zu leben, um dadurch die Fortdauer des Glaubens und der katholischen Kirche zu gewährleisten.
Der Priester ist ein alter Christus, ein zweiter Christus, er handelt in persona Christi, in der Person Christi. Durch ihn ist das Priestertum Christi unter uns, durch ihn ist Christus unter uns gegenwärtig. Der Priester gewährleistet die Fortdauer der Wohltaten, die uns in Christi Menschwerdung, Leben, Lehre, von seiner Gnade und seiner Erlösung zufließen. Das ist wirklich das Wesentliche. Im Verlauf dieser Krise des Glaubens und der Kirche können wir natürlich von der Situation, in der wir uns befinden, nicht absehen. In der Tat, was das Wesentliche angeht, ändert sich nichts und hat sich nichts geändert.
Der Liberalismus will den Katholizismus mit der Denkweise der französischen Revolution versöhnen.
Erzbischof Lefebvre hatte das Übel unserer Zeit, unserer Gesellschaft und vor allem auch in der Kirche klar gesehen und auch aufgezeigt. Dieses Übel ist ganz einfach der Liberalismus. Es ist dieser Ausgleich, besser gesagt, Versuch eines Ausgleichs, zwischen Kirche und Welt, zwischen katholischem Glauben und liberalen Grundsätzen, zwischen der katholischen Religion und dem Denken der Revolution von 1789. Da liegt das Problem, ganz einfach. Alles andere sind nur theoretische, feinsinnige, sophistische Erklärungsversuche, wodurch die modernistische Theologie die vom II. Vatikanischen Konzil und den römischen Autoritäten gemachte Annäherung an die Welt, wie sie aus der Revolution hervorgegangen ist, mit der liberalen Welt rechtfertigen will.
Ich möchte Ihnen einige Aussagen des früheren Kardinals Ratzinger zitieren, mit welchen er klar und einfach genau dies bestätigt. Um der Genauigkeit willen werde ich sie vorlesen. Sie sind nicht lang.
„Das II. Vatikanum hatte Recht mit seinem Wunsch nach einer Revision der Beziehungen zwischen Kirche und Welt. Es gibt in der Tat Werte, die, auch wenn sie außerhalb der Kirche entstanden sind, ihren Platz – wenn auch gereinigt und korrigiert – in der kirchlichen Sicht der Dinge finden können.“ (Joseph Kardinal Ratzinger, Zur Lage des Glaubens – Ein Gespräch mit Vittorio Messori, Verlag Neue Stadt, 1985, S. 34)
„Das Problem der 60-er Jahre lag in der Aufnahme der besten, durch zwei Jahrhunderte liberaler Kultur zum Ausdruck gebrachten Werte.” (Entretien avec Vittorio Messori, mensuel Jesus, novembre 1984, p. 72)
Der heutige Papst, Benedikt XVI., damals Kardinal Ratzinger, zeigt ebenfalls, wie die Konstitution Gaudium et spes sozusagen das Testament des Konzils ist. Mit folgenden Worten weist er ihre Zielsetzung auf und beschreibt ihre Physiognomie: „Wenn man nach einer Gesamtdiagnose für den Text (von Gaudium et spes) sucht, könnte man sagen, dass er (in Verbindung mit den Texten über Religionsfreiheit und über die Weltreligionen) eine Revision des Syllabus Pius’ IX., eine Art Gegensyllabus, darstellt.“ (Joseph Kardinal Ratzinger, Theologische Prinzipienlehre, Erich Wewel Verlag, 1982, S. 398)
„[Begnügen wir uns hier mit der Feststellung, dass] der Text die Rolle eines Gegensyllabus spielt und insofern den Versuch einer offiziellen Versöhnung der Kirche mit der seit 1789 gewordenen neuen Zeit darstellt.“ (Theologische Prinzipienlehre, S. 399)
Diese Texte und Aussagen sind ziemlich klar. Sie sind außerordentlich wichtige, authentische Eingeständnisse, und so liegt die Beweislast nicht mehr bei uns. Wenn sie selbst es zugeben, brauchen wir nicht mehr zu beweisen, dass es so ist!
Das II. Vatikanum war also nicht mehr und nicht weniger als eine Versöhnung der katholischen Religion, des Glaubens der Kirche, mit dem Liberalismus, mit der Revolution, den Grundsätzen der französischen Revolution und sogar – wie der Papst es anderswo sagt – eine Versöhnung zwischen Glaube und Aufklärung. Diese Aussagen machen mehrere Erwägungen und Bemerkungen notwendig:
Zum Ersten: Wie kann es sein, dass Werte, die so wesentlich die natürliche und übernatürliche Ordnung berühren – man braucht nur die Kirche vor und nach dem Konzil zu betrachten, um sich zu überzeugen – wie können solche Werte außerhalb der Kirche geboren sein? Ist also die Kirche nicht mehr die Inhaberin der Wahrheit? Ist die katholische Kirche nicht die wahre Kirche? Kann sich die Wahrheit nach geschichtlichen Umständen von Zeit, Kultur und Ort entwickeln? Schon ein Autor wie Chesterton hat gesagt, dass die Ideen der französischen Revolution verrückt gewordene katholische Ideen seien. Und wir könnten mit größerer Genauigkeit sagen: Es sind katholische Wahrheiten, welche unbefugterweise in die natürliche Ordnung übertragen wurden, Ideen, die in der übernatürlichen Ordnung in gewissen Grenzen richtig sind, die aber direkt auf das natürliche Gebiet übertragen wurden.
Hätte wirklich das II. Vatikanische Konzil liberale Werte hergenommen und korrigiert, gereinigt und verbessert, dann hätte man ganz einfach die immerwährende katholische Wahrheit wiedergefunden, denn es handelt sich um entstellte christliche Wahrheiten. Der Liberalismus ist in seiner Entstehung eine christliche, eine katholische Häresie, würde ich sagen.
Andererseits war es doch ziemlich gewagt, diese Versöhnung anzustreben, angesichts eines beständigen Lehramtes der Päpste von zweieinhalb Jahrhunderten, welches diese angeblichen Werte ständig verurteilt hat: Sie wurden im Ganzen und im Einzelnen verurteilt. Nicht nur die Möglichkeit, sondern auch die Notwendigkeit einer solchen Aussöhnung wurde verurteilt. Das ist der Syllabus, das ist Pius IX.
Hier liegt die Ursünde des Konzils. Sehr oft werden uns das Magisterium und die Autorität vor Augen gehalten. Oft haben sie ja keine anderen Argumente. Und dabei haben sie als Erste damit angefangen, sich eines zweieinhalb Jahrhunderte alten Lehramtes zu entledigen und genau das zu tun, was die Päpste schon im Voraus verurteilt hatten. Das ist mehr als gewagt.
Sodann sucht man die Aussöhnung mit der Welt, mit einer gottfernen und gottwidrigen Welt. Man braucht sich nur umzusehen, wenn man wissen will, um was für eine Welt es sich handelt. Die Heilige Schrift schreibt es doch sehr deutlich, der heilige Johannes sagt es uns: „Alles, was in der Welt ist, ist Fleischeslust, Augenlust und Hoffahrt des Lebens.“ (1 Joh 2,16) Und der heilige Apostel Jakobus sagte zu den Christen: „Ihr Ehebrecher, wisst ihr nicht, dass Freundschaft mit der Welt Feindschaft gegen Gott bedeutet? Wer also Freund der Welt sein will, macht sich zum Feinde Gottes.“ (Jak 4,4)
Der Unabhängigkeitsgeist führt zur Vergötterung des Menschen
Denn was ist eigentlich das Wesen, der Kern dieses liberalen Geistes? Die Päpste und die großen Autoren des 19. und 20. Jahrhunderts haben schon alles gesagt. Da ist zuerst einmal der Naturalismus, also die Leugnung der übernatürlichen Ordnung, der Offenbarung, der Gnade - und als Folge auf derselben Linie die Leugnung der Kirche, die Leugnung Christi, die Leugnung Gottes.
Der logisch weitergedachte Naturalismus führt zum Atheismus. Der Kommunismus liefert uns den Beweis dafür. Es hat niemals einen solchen Gräuel in der Menschheitsgeschichte gegeben. Zweitens bedeutet Liberalismus: Geist der Unabhängigkeit, Geist der Revolte. Unabhängigkeit von allem: Der Verstand macht sich unabhängig vom Wahren, der Wille vom Guten, der Mensch unabhängig von Gott, von der Autorität. Und drittens handelt es sich um die Vergötterung des Menschen. Schon der heilige Pius X. hat es aufgezeigt: Der Mensch setzt sich an den Platz Gottes, er macht sich zum Gott, und er ordnet die Ehre und auch die Schöpfung auf sich selbst hin.
Man hat also eine Versöhnung mit diesen Ideen gesucht, die fundamental und radikal dem katholischen Glauben entgegengesetzt sind, und übrigens auch der natürlichen Ordnung, der Realität. Da es sich um einen Versuch der Aussöhnung handelt, haben sie natürlich diese Prinzipien nicht einfach, wie sie sind, herausgestellt. Sie haben die übernatürliche Ordnung nicht geleugnet, aber sie haben sie auf die Natur beschränkt und in dieser eingeschlossen. Sie haben die Kirche nicht geleugnet, wohl aber sie in den Dienst der Welt gestellt, das Himmelreich auf Erden in den Dienst der Welt und einer humanistischen Menschlichkeitsvereinigung, in den Dienst des Friedens, immer auf der Ebene der natürlichen Ordnung.[1] Denken Sie zum Beispiel an Assisi, an Assisi III, welches man uns in dieser Weise vorgestellt hat.
Sie haben auch Christus nicht geleugnet, aber sie haben Christus in den Dienst der Menschen gestellt. Christus habe sich mit jedem Menschen vereinigt, er offenbare dem Menschen den Menschen; mit der Gnade mache er den Menschen zum vollkommenen Menschen. So lehren sie. Sie haben nicht die absolute Unabhängigkeit des Menschen von Gott behauptet, aber sie sind von der objektiven zur subjektiven Ordnung übergegangen. Objektiv gesehen: Ja, da gibt es einen Gott, eine wahre Religion, eine Wahrheit. Also gäbe es auch für den Menschen eine moralische Verpflichtung, diese Wahrheit anzunehmen. Aber subjektiv gesehen, ganz gleich, was auch immer sei, der Mensch rettet sich auf jeden Fall, indem er seinem Gewissen folgt, seiner Wahrheit, und vor allem, indem er seine Freiheit ausübt. Denn das ist jetzt die ontologische, sakrosankte Menschenwürde: die Ausübung der Freiheit, und zwar nicht im traditionellen Sinn einer Freiheit, die sich im Guten bewegt, sondern in der Tatsache, dass er zwischen Gut und Böse wählt, darin findet der Mensch seine Vollkommenheit und sein Heil.
Sie haben nicht die Göttlichkeit des Menschen behauptet, aber doch in einer anthropologischen Wende durch den Personalismus das Gemeingut, und zwar alles Gemeingut, in den Dienst des Menschen als Individuum, als Person gestellt und in letzter Konsequenz auch das göttliche Gemeingut, also das universelle, höchste Gut, Gott selbst. Denn Gott ist das höchste Gemeingut. Aus diesem Grund betont das Konzil, der Mensch sei das einzige von Gott um seiner selbst willen geliebte Geschöpf. Das Gott um seiner selbst willen liebt! Gottes Ehre besteht also in der Ehre der Menschen; nicht in der Ehre, die der Mensch Gott gibt, sondern in der Verherrlichung des Menschen.
Und folglich haben wir dasselbe Ziel wie die Liberalen, die Humanisten, die Revolutionäre. Kein Problem! Wir alle suchen die Verherrlichung des Menschen, und dadurch wird auch Gott verherrlicht. Ihr „Gott“ vollendet und vervollkommnet sich also durch die Verherrlichung des Menschen. Nichts weniger als dies!
Alles in Christus erneuern, um dem Zeitübel zu begegnen
Sehen Sie, wie unmöglich diese Versöhnung ist. Und sie haben folgerichtig alle praktischen Schlüsse daraus gezogen. Wie Erzbischof Lefebvre uns sagte: Sie haben Ihn entthront. Ja, sie haben systematisch die Vorherrschaft und Königswürde unseres Herrn missachtet, seine Rechte, die Rechte Gottes. Man ist für die Menschenrechte. Leugnung der Rechte Gottes durch die Erklärung der Menschenrechte. Sie haben Christus in seiner eigenen Person, in seinen Rechten entthront durch die Gewissensfreiheit, die Freiheit der Meinung, die Freiheit der Sünde, durch die Kultfreiheit, die Religionsfreiheit. Er wurde wirklich entthront. Aber sie haben unseren Herrn auch in seiner Kirche entthront durch den Ökumenismus. Denn wenn Christus König ist, so ist die Kirche die Königin. Und sie haben unseren Herrn in seinem Stellvertreter auf Erden und in seinen Bischöfen entthront durch die Kollegialität und letztlich durch die Zerstörung jeglicher Autorität.
Dieses ist die Geisteshaltung, mit der das Konzil die Aussöhnung versucht hat. Und jetzt gibt es natürlich die Aussöhnung der Aussöhnung, mit anderen Worten: die Hermeneutik der Kontinuität. Und es gibt sogar welche, die uns ähnlich scheinen oder die Unsrigen waren und es nicht mehr sind: Sie versuchen die Aussöhnung der Aussöhnung der Aussöhnung. Verlorene Mühe, ihr Versuch ist von vornherein zum Scheitern verurteilt: Bonum ex integra causa, malum ex quocumque defectu ‑ Das Gute kommt von einer vollkommen, ganzheitlich guten Ursache, das Übel von welchem Mangel auch immer in der Ursache.
Nun handelt es sich hier aber um einen wesenhaften Mangel, denn das Wesen selbst des liberalen Denkens ist völlig und radikal dem katholischem Glauben entgegengesetzt. Die Sache selbst, welche man aussöhnen will, ist entgegengesetzt. Man kann aber keinen viereckigen Kreis machen. Das ist unmöglich und kann nicht einmal in der Vorstellung bestehen. Der gesunde Menschenverstand sagt es. Man kann jemanden in Martigny fragen, ob man gleichzeitig nach Rom, der Ewigen Stadt, und nach Paris, der Stadt der Freigeister, reisen kann. Fragen sie ihn, ob man auf dem gleichen Weg zu beiden Zielen gelangt! In Spanien sagt man, das laufe darauf hinaus, eine Kerze Gott und eine zweite Kerze dem Teufel anzuzünden. Schon der heilige Apostel Paulus hat mehr oder weniger dasselbe mit diesen Worten gesagt: „Zieht nicht mit den Ungläubigen an einem Joch. Denn was haben Gerechtigkeit und Gottlosigkeit miteinander zu tun? Was haben Licht und Finsternis gemein? Wie stimmen Christus und Belial zusammen? Und der Gläubige mit dem Ungläubigen? Wie verträgt der Tempel Gottes sich mit Götzen?“ (2 Kor. 6,14-16)? Nun ist aber, sagt der heilige Paulus, die Kirche der Tempel Gottes. Welche Gemeinschaft oder Versöhnung kann es also geben? Keine!
Erzbischof Lefebvre hat nicht nur mit Genauigkeit das Übel aufgedeckt, sondern uns auch mit Genauigkeit und Klarheit das Heilmittel gezeigt. Das Heilmittel ist unser Herr Jesus Christus, oder genauer gesagt Christus als Priester und Christus als König. Es gibt kein Heil, keine Erlösung, weder für den Einzelnen noch für die Gesellschaft, außerhalb des Priestertums und außerhalb des Königtums unseres Herrn Jesus Christus. Denn er vollbringt sein Werk durch sein Priestertum und durch sein Königtum. „Niemand kann einen anderen Grund legen als den bereits gelegten: Jesus Christus“ (1 Kor. 3,11), sagt der heilige Paulus.
Und der heilige Petrus sagt im gleichen Sinne: „Der Stein, der von den Bauleuten verworfen wurde, ist zum Eckstein geworden.“ Denn in keinem anderen ist Heil, in niemand anderem als allein in unserem Herrn Jesus Christus: „Denn es ist kein anderer Name unter dem Himmel den Menschen gegeben, durch den wir das Heil erlangen könnten.“ (Apg 4, 11-12)
Im Epheserbrief will der heilige Paulus unserer Hoffnung eine feste Basis geben, und so erinnert er uns an die Machtentfaltung und die Kraft seiner Macht, mit welcher Gottvater unseren Herrn von den Toten auferweckte und ihn zu seiner Rechten sitzen ließ und seiner Autorität alle Herrschaften, Gewalten, Kräfte und Mächte unterwarf sowie alles, was sonst noch einen Namen hat in dieser oder der zukünftigen Welt. Gott hat ihm alles in dieser und in der zukünftigen Welt unterworfen. Er machte ihn zum Haupt der Kirche, die sein Leib ist. Die Kirche ist die Fülle dessen, der alles in allem ist. Christus ist alles in allem, und Gott hat ihm alles unterworfen (vgl. Eph 1, 20-23).
Im Hebräerbrief ist der Apostel noch deutlicher, indem er betont, dass Gott ihm alles unterworfen hat, dass er nichts gelassen hat, was ihm nicht unterworfen wäre. (cf. Heb 2,8) Er hat nichts außerhalb seiner Herrschaft, seines Königtums gelassen, und daher oportet illum regnare - ER muss herrschen (vgl. 1 Kor 15,25). Da haben wir das Ideal des Priestertums: Alles auf unseren Herrn Jesus Christus gründen, alles in ihm einrichten, alles in Christus erneuern. Was aber auch heißt: Alles in unserem Herrn Jesus Christus vereinen, zusammenführen, alles auf ihn als Haupt hinordnen.
„Alles ist euer, ihr seid Christi, Christus aber ist Gottes.“ Dies ist der Plan Gottes von Ewigkeit: Alles auf Christus aufbauen, alles in Christus zusammenfassen. Außerhalb des Priestertums und Königtums Christi ist das menschliche Leben ein auswegloser Alptraum. Wir sehen es klar in der heutigen Gesellschaft: Es gibt weder Wahrheit noch Tugend, leider auch kein Heil, keine Erlösung, keine Gerechtigkeit. Denn all dies kommt uns zu von unserem Herrn, von seinem Priestertum, seiner Königsherrschaft: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben.“ (Joh. 14,6)
Also, meine lieben Mitbrüder, liebe Weihekandidaten, das Leben des Priesters besteht eben darin, jeglichen Verstand unserem Herrn Jesus Christus, der die Wahrheit ist, jeglichen Willen ihm, der das Leben ist, zu unterwerfen und allen Menschen den einzigen Weg des Heils anzubieten, welcher da ist unser Herr Jesus Christus.
Warum gehen wir nach Rom?
Wenn es so steht, könnte mir jemand sagen: Warum gibt es denn noch Beziehungen mit diesen Leuten, warum nach Rom gehen? Es könnte scheinen, man solle prinzipiell gar keine Kontakte mit ihnen haben. Doch nein, es ist gerade das Gegenteil! Aus Prinzip sollen wir Kontakte haben, aus Prinzip müssen wir nach Rom gehen. Natürlich untersucht sodann die Klugheit die Umstände und bestimmt, was man tatsächlich im konkreten Fall machen soll. Aber aus Prinzip sollten wir nach Rom gehen. Zunächst einmal, weil wir katholisch, apostolisch und römisch sind. Sodann, weil Rom das Haupt und das Herz der katholischen Kirche ist und wir also wissen, dass die Krise in Rom und durch Rom ihre Lösung finden wird. Daher ist das Gute, das wir in Rom vollbringen, mehr als viel Gutes, was wir anderswo tun könnten.
Abgesehen davon: Caritas Christi urget nos - Die Liebe Christi drängt uns (2 Kor 5,14). Man muss verstehen, wie schwierig es ist, den Irrtum abzulegen, wenn man sein ganzes Leben in ihm gelebt hat. Es ist außerordentlich schwer, das Licht und die Kraft zu haben, mit einer ganzen Reihe von Anhänglichkeiten auf natürlichem Gebiet zu brechen, mit einem ganzen Leben, das dem gewidmet war, mit einer Lehre, die von den Autoritäten unterstützt wird - mit allen daraus fließenden Konsequenzen. Geben wir zu, dass dies nicht leicht ist, und haben wir Mitleid. Denn was die Leute brauchen, ist einfach das, was wir selbst umsonst empfangen haben: das Licht und die Gnade. Denn was haben wir, das wir nicht empfangen hätten (vgl. 1 Kor 4,7)? Sei es, wie es wolle! Sie müssen ganz einfach das empfangen, was wir die Gnade hatten, von Gottes Barmherzigkeit und Großzügigkeit zu empfangen. Die Liebe macht es uns zur Pflicht.
Diejenigen, die sich bitter und aus Prinzip jedem Kontakt mit den Modernisten widersetzen, erinnern mich an eine Evangelienstelle. Als unser Herr in einer Stadt nicht aufgenommen wurde, schlugen Jakobus und Johannes – die Donnersöhne – ihm vor, wenn er wolle, Feuer vom Himmel fallen zu lassen, um die Stadt zu verzehren. Unser Herr übergeht mit Nachsicht diesen monumentalen, aber naiven Hochmut der Apostel – als ob er sie bräuchte, um die Probleme zu lösen! – und antwortet: Ihr wisst nicht, wes Geistes ihr seid (vgl. Lk 9,51-56). Ja, sie hatten den Heiligen Geist noch nicht empfangen, welcher die Liebe in die Herzen gießt. Sie wussten nicht, welchen Geistes sie waren. Sie waren dem bitteren Eifer verfallen.
Wir haben an die Liebe geglaubt
Welches ist dieser Geist? Es ist der Geist unseres Herrn Jesus Christus, das ist nicht allzu kompliziert: Wir müssen schauen, wie unser Herr seinen Feinden, seinen Gegnern gegenüber gehandelt hat. Sowohl der heilige Johannes als auch der heilige Paulus sagen es uns: Wahrhaftig haben wir Gottes Liebe daran erkannt, dass der Vater uns geliebt und Christus für uns sein Leben hingegeben hat, und zwar als wir noch Sünder und daher seine Feinde, waren. Da zeigt sich besonders die Liebe Gottes, und an diese Liebe haben wir geglaubt. Und so müssen wir also desgleichen tun (vgl. 1 Joh 4,9-16; Eph 2).
Wie hat sich die Liebe unseres Herrn geoffenbart? Durch Krieg, durch Anatheme, durch Verurteilungen, durch Herabrufen des Feuers vom Himmel? Nein, dieses Werk der Liebe hat sich durch Demut, durch Demütigung, durch Gehorsam, durch Geduld verwirklicht, durch Leiden, Tod und Verzeihung selbst gegenüber seinen Feinden am Kreuz. Sein ganzes Leben lang hat unser Herr alle möglichen und vernünftigen Mittel angewandt, um die Pharisäer zur Annahme der Wahrheit zu bewegen, um ihnen Heil und Vergebung anzubieten. Dem müssen wir folgen, ganz einfach.
Ich sehe nicht, inwiefern die lehrmäßige Festigkeit im Widerspruch stünde zur geschmeidigen, erfinderischen, ja sogar kühnen Liebe. Ich kann es nicht sehen! Ich verstehe nicht, wie die doktrinale Unbeugsamkeit im Gegensatz stehen sollte zu herzlichem Mitleid, zum missionarischen und apostolischen Eifer der Liebe. Wir brauchen nicht eine Wahl zu treffen: entweder Glaube oder Liebe. Wir müssen beide umfassen. Mehr noch: Ohne Liebe bin ich nichts, selbst wenn ich einen Berge versetzenden Glauben hätte. Wenn ich die Liebe nicht habe, bin ich nichts. Wenn ich mein Leben für die Armen dahingäbe, aber die Liebe nicht hätte, bin ich nichts (vgl. 1 Kor 13,3).
Lesen Sie des heiligen Paulus Lobpreis der Liebe im Korintherbrief (1 Kor 13), wenden Sie ihn auf das Leben unseres Herrn an, und Sie wissen ohne möglichen Zweifel, worin der katholische Geist besteht. Die Liebe ist geduldig, die Liebe ist gütig, sie ist nicht neidisch, die Liebe sucht nicht den eigenen Vorteil, sie ist nicht nachtragend, sie vergilt Böses mit Gutem, die Liebe entschuldigt alles, glaubt alles, hofft alles, erleidet alles. Auf diese Weise können wir wahrhaft am Wiederaufbau des Glaubens mitarbeiten, an der Erneuerung aller Dinge in Christus. Und da das Heilmittel Christus ist, sein Priestertum und sein Königtum, fließt dieses Heilmittel notwendigerweise durch das Herz unserer Mutter, der allerseligsten Jungfrau Maria.
Unser Herr war und wird immer sein die Frucht einzig der Jungfrau Maria, des Herzens Mariä. Sie ist die Mutter Christi, die Mutter Gottes, die Mutter aller Menschen, die Miterlöserin des Menschengeschlechtes, die Mittlerin aller Gnaden; sie teilt alle Gnaden aus. Sie ist wahrhaft die Königin der Schöpfung, die Königin des Himmels und der Erde. Wie der heilige Bernhard sagt: Wir haben alles von der Jungfrau Maria empfangen, wir müssen daher mit Eifer, Andacht und Beharrlichkeit zum Herzen Mariens gehen, um die Gnade zu erlangen, die wir brauchen, vor allem dieses starke Leben im Glauben, in der Hoffnung und in der Liebe. Denn wir müssen mit Starkmut lieben.
Gehen wir also wirklich und oft durch eine wahre und innere Verehrung zum Herzen Mariä, zu diesem Thron der Gnade, um zur rechten Zeit die notwendige Hilfe zu erlangen, um schließlich wahre Christen und wahre Priester unseres Herrn Jesus Christus zu sein. Amen.
(Um den persönlichen Charakter dieser Predigt zu bewahren, wurde der gesprochene Stil beibehalten.)
[1] Besonders deutlich wird dies in Lumen Gentium 1, wo es heißt: „Die Kirche ist ja in Christus gleichsam das Sakrament, das heißt Zeichen und Werkzeug für die innigste Vereinigung mit Gott wie für die Einheit der ganzen Menschheit.“ Im gleichen Sinne schreibt Johannes Paul II. in seiner ersten Enzyklika Redemptor Hominis: „Der Weg der Kirche ist der Mensch.“ (Anm. d. Hrsg.)
Priesterbruderschaft St. Pius X.
We do not have to choose between faith and charity; We must embrace both!
Non si deve scegliere tra la fede e la carità, bisogna abbracciarle entrambe!
SERMÓN DE MONSEÑOR ALFONSO DE GALARRETA, Ordenaciones en Ecône (Suiza), el 29 de junio de 2011
"On n’a pas à choisir entre la foi et la charité ; on doit embrasser les deux !"