Plädoyers der Zivilparteien im Vatikan-Prozess

Quelle: FSSPX Aktuell

Der Gerichtspräsident Giuseppe Pignatone

Die wohlverdiente Sommerpause für die Richter und Staatsanwälte am Vatikanischen Gerichtshof ist vorbei. Ende September 2023 beginnt das neue Gerichtsjahr mit der Wiederaufnahme des Jahrhundertprozesses. Auf der Tagesordnung der achtundsechzigsten, neunundsechzigsten und siebzigsten Anhörung stehen die Plädoyers der Anwälte der Zivilparteien.

Roberto Lipari, Verteidiger des Instituts der Werke der Religion (Istituto per le Opere di Religione, kurz IOR) – fälschlicherweise die „Bank“ des Vatikans genannt – sprach zum Auftakt mehr als vier Stunden lang. Er erinnerte daran, dass der Papst normalerweise das alleinige Recht hatte, über die Verwendung der 700 Millionen Euro zu entscheiden, die dem Staatssekretariat zwischen 2004 und 2020 zugewiesen wurden. 

Ein Recht, das die Angeklagten missachteten, da sie die IOR als „Verteiler, der immer positiv auf ihre Forderungen reagieren muss“, betrachtet hätten. Roberto Lipari forderte vom Gericht die Rückzahlung von 206,5 Millionen Euro als Wiedergutmachung für die dem Heiligen Vater, dem „Hauptopfer“ des Prozesses, „unrechtmäßig vorenthaltenen“ Beträge. Dazu rief er eine Entschädigung für die Rufschädigung auf, deren Betrag sich laut einem Expertenbericht auf 987.494 Euro belaufen soll. 

Am 28. September war Paola Severino an der Reihe, für das Staatssekretariat zu plädieren, das ihrer Meinung nach Opfer von „Missbrauch und Täuschung“ durch „Tempelhändler“ geworden war und nun gezwungen sei, eine „Kampagne zu starten, um sein Image aufzupolieren und die beschädigte Ehre wiederherzustellen.“ Die Anwältin, die einst das Amt des Justizministers auf der Halbinsel innehatte, gab sofort den Ton an: „Es wurde geschrieben, dass sich die erste Sektion in eine Investitionszentrale verwandelt habe. (...) Es wurde behauptet, dass diese Angelegenheit mit dem schlimmsten Korruptionsskandal vergleichbar sei, der zum Selbstmord von Roberto Calvi geführt hat.“ 

Zu den Finanzgeschäften mit der Ölgesellschaft Falcon Oil in Angola, Investitionen beim Crédit Lombard, um einen Teil des Gebäudes in der Sloane Avenue in London zu kaufen, und zu anderen fragwürdigen Investitionen meinte Elisa Scaroina, eine der Mitarbeiterinnen von Paola Severino, ironisch: „Wer einen Freund findet, findet einen Schatz, in diesem Fall den Schatz des Staatssekretariats.“ Die Anwälte forderten die Zahlung von 177 Millionen Euro für den Schaden, der ihrem Mandanten entstanden war. 

Am 29. September waren die Anwälte der Vermögensverwaltung des Apostolischen Stuhls (Administratio Patrimonii Sedis Apostolicae, kurz APSA) und der Behörde für Finanzaufsicht und Information (Autorità di Supervisione e Informazione Finanziaria, kurz ASIF) an der Reihe und forderten Gerechtigkeit für ihre Mandanten: „Parasiten? Ausbeuter? Ich überlasse es dem Gericht zu entscheiden, wie die Angeklagten zu bezeichnen sind“, sagte Giovanni Maria Flick, der seinerseits 270 Millionen Euro Schadenersatz forderte. 

Die geforderten hohen Geldstrafen kommen zu den Strafen hinzu, die der vatikanische Justizpromotor [Generalstaatsanwalt] Alessandro Diddi im Juli letzten Jahres gefordert hatte: Für Kardinal Becciu wurden sieben Jahre und drei Monate Haft sowie ein lebenslanges Verbot der Ausübung öffentlicher Ämter gefordert. Für den ehemaligen Vorsitzenden der Finanzinformationsbehörde, René Brülhart, drei Jahre und acht Monate. Fünf Jahre und vier Monate für den ehemaligen Sekretär von Kardinal Becciu, Monsignore Mauro Carlino. Neun Jahre und neun Monate für den ehemaligen Finanzberater des Staatssekretariats, Enrico Crasso, sowie vier Jahre und drei Monate für den ehemaligen Direktor des ASIF, Tommaso Di Ruzza Fabrizio. 13 Jahre und drei Monate sollen es für den ehemaligen Angestellten des Heiligen Stuhls, Fabrizio Tirabassi, und vier Jahre und acht Monate für Cecilia Marogna werden. Elf Jahre und fünf Monate forderte Diddi für den Börsenmakler Raffaele Mincione sieben Jahre und sechs Monate für den Börsenmakler Gianluigi Torzi sowie sechs Jahre für dessen Anwalt Nicola Squillace.

Am 5. Oktober werden die Plädoyers der Verteidiger beginnen. Der Tag nach der feierlichen Eröffnung der Synode. Es wird hinter den vatikanischen Mauern in den nächsten Wochen spannend werden.