Ein Wendepunkt - Brief des Regens des Priesterseminars St. Thomas Aquinas, USA

Quelle: FSSPX Aktuell

Fest des Heiligsten Herzen Jesu, 7. Juni 2018.

Liebe Freunde und Wohltäter,

mein Vater und euer Vater. In wenigen Worten nur offenbart uns unser Herr Jesus Christus das innerste Wesen Gottes und unserer göttlichen Adoption.

Dennoch bedeutet diese Offenbarung für den Menschen nicht, dass er frei von den Gesetzen sei, die die menschliche Natur ordnen und die das Gleichgewicht gewähren, das er wahren muss. Der Mensch muss das Gesetz der Menschwerdung anerkennen und sich ihm unterwerfen. Gott selbst hat durch die Menschwerdung die menschliche Natur angenommen, ohne dabei an göttlicher Würde zu verlieren, so dass der Mensch an Gottes innerstem Leben teilhaben kann - aber doch in der Begrenztheit des menschlichen Wesens. 

Die Erinnerung an unseren menschlichen Zustand ist unbedingt notwendig, da es den Menschen seit der Erbsünde ständig zur Maßlosigkeit hinzieht. Wenngleich die unendliche Natur Gottes ihm ein unermessliches Sein ermöglicht, kann der Mensch, ein endliches Geschöpf, das Maß nicht überschreiten, ohne von seiner eigenen Natur abzuweichen.

Diese Abweichung kann man besonders in Krisenzeiten bemerken, wenn Orientierungspunkte verschwimmen und Grundfesten wanken. Blind und orientierungslos durch den Wirbel des ihn umgebenden Irrtums wird der Mensch nach und nach dazu gebracht, dass sein Urteil und Handeln nur noch auf diese Krise reagiert. Da jedoch die Krise nur die Verneinung und Zerstörung der Ordnung ist, kann sie keine Basis für eine richtige Beurteilung und Handlung darstellen. Zuerst muss zur Ordnung zurückgekehrt werden. Diese Rückkehr wird noch pressanter, wenn die Krise nicht nur das einzelne Individuum zerbricht, sondern die eigentlichen Grundfesten einer Gesellschaft in Frage stellt.

Die Kirchengeschichte zeigt, dass alle religiösen Orden aus der Krise geboren wurden. Die Krise kann aber nicht das Wesen des geweihten Lebens ausmachen: Sie ist lediglich der Anlass der Vorsehung für sein Erblühen. Das Wesen eines Ordens ist natürlich von ganz anderer Natur. Denn, wie der Orden des heiligen Dominik sich nicht nur über seinen Kampf gegen die Häresie der Kartharer definieren lässt, kann auch die Priesterbruderschaft St. Pius X. nicht auf ihren notwendigen Kampf gegen die Irrtümer dieser Zeit reduziert werden. Wenn die Krise unglücklicherweise der einzige Grund für die Existenz der Priesterbruderschaft St. Pius X. wäre, würde sie binnen kurzem verschwinden, ohne durch die Heiligkeit der Priester für die Errichtung des Königreichs Christi gearbeitet zu haben. Dies ist wahrhaftig das Wesen der Existenz dieser Priesterbruderschaft: die Selbstaufopferung ihrer Priester zur Ehre Gottes, des Vaters, auf dem Altar der heiligen Messe. Regnavit al ligno Deus, „Gott herrscht vom Holze herab“ wie das Vexilla Regisbekräftigt. 

Je mehr sich die Krise der Kirche verschärft, je mehr ihre lehrmäßigen Grundlagen erschüttert werden, je mehr Satan sich bemüht, die Menschen durch ehemals unvorstellbare Brüche in der Kirche zu desorientieren, um so mehr muss die Priesterbruderschaft St. Pius X. ihrer Berufung treu bleiben, die sie von ihrem Gründer, Msgr. Lefebvre erhalten hat: die Heiligkeit des Priesters, dem Mann der Messe, und damit Golgatha zu behüten. Es wäre ein schwerwiegender und katastrophaler Irrtum, zu behaupten, dass die Urteile und Handlungen der Priesterbruderschaft St. Pius X., da sie ja selbst in der progressiven Krise entstanden ist, sich nach den Entwicklungen dieser Krise zu richten hätte.

Nach der Panikwelle zu urteilen, die manche unter uns während der letzten Monate ergriffen hat, scheinen einige von uns am Vorabend des bevorstehenden Wahlkapitels unserer Ordensgemeinschaft unser Verständnis von Vernunft und Gleichgewicht verloren zu haben.Jeder lässt seine Meinung verlauten, pocht darauf, was getan werden „muss", prognostiziert, kritisiert alles und bricht in lautes Geschrei aus. Wäre es nicht an der Zeit, wieder ein wenig zum gesunden Verstand zurückzukehren?

Solche Extreme tragen das satanische Zeichen des egalitären Revolutionsgeistes, durch den sich ein jeder als souveräne Autorität hinstellt. Diese Autoritätskrise ist in Wirklichkeit nichts anderes als die vehemente Ablehnung jeglicher Vaterschaft, und insbesondere der göttlichen Vaterschaft. Es ist auch die Leugnung der Natur des Menschen: als abhängiges Wesen, das Gott unterworfen ist.

Es ist wichtig, dass wir uns von diesem Missverhältnis nicht mitreißen lassen und in diesem Sturm auf unserem Kurs zu bleiben. Es genügt, sich der Realität zu stellen: In einer Zeit, in der die Kirche und die Welt eine tiefe und anhaltende Krise durchlaufen, ist unsere junge Ordensgemeinschaft noch keine fünfzig Jahre alt. Für einen Orden ist dies das Jugendalter; ein besonders anfälliges Alter, in dem Wachstum auf unausgewogene und unordentlich wirkende Weise stattfinden kann. Über gewisse Disharmonien müssen wir uns daher nicht wundern; wir sollten vielmehr danach streben, diese zu beheben. Und es gibt dafür kein anderes Mittel, als den Geist wiederzubeleben, der bei der Gründung des Werkes den Vorsitz führte.

Wenn die gegenwärtige Krise droht, uns in ihrem Wirbel zu verschlingen, ist es in der Tat notwendig, diese in geordneter Weise zu bekämpfen, indem man auf die Grundsätze zurückgreift und insbesondere die oberste Regel der Paternität anerkennt, die der Grundpfeiler jeder Gesellschaft ist. Durch das Leben als Söhne, die in der göttlichen Vaterschaft verwurzelt sind, werden wir alle - Priester und Gläubige, jeder an seinem Platz - für die Treue der Priesterbruderschaft St. Pius X. zu ihrer Berufung arbeiten.

Beten wir für die Priester,dass sie an ihrem Platz bleiben mögen, im Gehorsam leben, ohne sich Zuständigkeiten anzumaßen, die sie nicht besitzen, insbesondere Pauschalurteile über alles zu fällen. Beten wir, dass sie vielmehr ein intensives priesterliches Leben entfalten, das Treue zu ihrem Gebetsleben, Entsagung und Einsatz für die Seelen umfasst.

Hoffen wir, dass die Gläubigen ihrerseits ihr Gebetsleben verstärken und dass sie es nicht versäumen, täglich für unser bevorstehendes Kapitel zu beten. Hoffen wir, dass sie auf die Botschaft Unserer Lieben Frau von Fatima in Bezug auf die notwendige Buße durch Treue zur Standespflicht hören. Beten wir, dass auch in ihnen ein Geist der Aufopferung ihren Priestern und Gemeinden gegenüber entsteht.

Ein Wahlkapitel in einer Ordensgemeinschaft ist ein wichtiger Moment. Hier wettet man nicht wie beim Pferderennen. Dieses Ereignis ist ein feierlicher Anlass für eine Ordensgemeinschaft, denn es ist ein besonderer Gnadenmoment, bei dem die Treue zu den Statuten erneuert werden muss. Es ermöglicht eine in Abhängigkeit von der Hierarchie größere Einheit der Mitglieder und eine Reorganisation in Vorbereitung auf neue Kämpfe.

Beten wir um die Gnade, das Missverhältnis, von dem wir gesprochen haben, zu verhüten, Verstöße und Beleidigungen zu vermeiden, vorschnelles Urteil über Absichten sowie Parteiungen zu vermeiden. Beten wir ganz einfach um die Gnade, unserer Regel treu zu bleiben.

Es geht um unseren entschlossenen Einsatz, damit das soziale Königtum Christi durch die Priesterherrschaft Christi errichtet wird.

Ihrem ständigen Wohlwollen, und besonders Ihrem Gebet, vertrauen wir unsere Priesterbruderschaft an, die wir aus kindlichem Herzen lieben, damit sie sich ganz dem Dienst des Königtums Christi in der Kirche, in der Welt und in den Familien widmen kann, und dass sie beschützt werde von ihrem Gründer, unserem Vater im Glauben, unserem verehrten Msgr. Lefebvre.

In Christo Sacerdote et Maria,

P. Yves le Roux, Regens, Priesterseminar St. Thomas Aquinas