Benedikt XVI. tritt aus seiner Stille heraus

Quelle: FSSPX Aktuell

Le pape émérite Benoît XVI en 2019

Der „synodalen Weg“ wird in den gemeinsamen Foren von Deutsche Bischofkonferenz (DBK) und Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) aktiv vorbereitet, und die bereits veröffentlichten Arbeitsdokumente zeigen, dass das Instrumentum laboris der Amazonassynode wahrscheinlich nur ein Baum ist, der den Wald verdeckt. Um überzeugt zu werden, konsultieren Sie sie einfach (Link).

Nach der Krise des Missbrauchs und mit der Absicht, das Vertrauen der unruhigen Gläubigen wiederherzustellen, soll dieser synodale Weg die göttliche Konstitution der Kirche vollständig umkehren. Sie ignoriert die im Juni veröffentlichte Analyse von Benedikt XVI. und weigert sich zu sehen, dass die Situation hauptsächlich mit der durch das Zweite Vatikanische Konzil ausgelösten Krise und der wachsenden Perversion der Welt zusammenhängt. Die Lehrlinge unserer Zauberer wollen, dass wir glauben, dass die Struktur der Kirche selbst verantwortlich ist. Diese Kirche wurde von Jesus Christus gegründet, dem Sohn Gottes, der Mensch geworden ist!

Um eine erste Antwort auf dieses Vorhaben der Massenvernichtung zu geben, müssen wir auf den Text des emeritierte Papstes zurückkommen. Er muss jedoch abgeschlossen werden, da er nicht an die Wurzel des Problems geht. Weil es durch seine Unfähigkeit begrenzt ist, im Zweiten Vatikanischen Konzil eine der Hauptursachen für die aktuelle Krise zu sehen.

Der Papst emeritus, Benedikt XVI., ließ am 11. April 2019 in der Monatszeitschrift Klerusblatt einen Text von rund 12 Seiten erscheinen. Er äußert sich darin zu den Missbrauchsfällen in der Kirche, zu der schweren Krise, die sie hervorgebracht haben und zu den immer wiederkehrenden Angriffen von Seiten der Medien, denen die kirchliche Einrichtung ausgesetzt ist. Er stellt heraus, dass er die Arbeit mit dem Einverständnis des Staatssekretärs des Vatikans, Kardinal Pietro Parolin und von Papst Franziskus veröffentlicht.

Das Gute an diesem Text ist unbestreitbar, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Sein Verfasser sucht inmitten der Stürme Licht in gewisse Grauzonen zu bringen und geht so weit, tiefgreifende Funktionsstörungen in der Vergangenheit und Gegenwart in der Kirche zu offenbaren.  Man muss dem, was als eine Art von mea culpa erscheinen könnte, einen gewissen Mut zuerkennen. Hat vielleicht das der Ewigkeit Näherkommen in diesen Erwägungen seinen Anteil?

Eine kritische Wortmeldung wird von der Intelligentia der Medien kritisiert

Übrigens haben die Medien im Zuge der Zeit sich nicht getäuscht, und die Kritiken kamen von allen Seiten gegen eine Analyse, die stört. Die unglaublichsten Argumente wurden vorgebracht, um die Botschaft des ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation zu diskreditieren.

Manche behaupten, er sei von seiner Umgebung „manipuliert“ oder ziehen in Zweifel, dass er wirklich der Verfasser ist. Die Opportunität dieser Veröffentlichungen wird stark bestritten. Marco Politi, ein bekannter progressistischer Vatikanist, hält sich nicht zurück, von einem Pamphlet zu sprechen und zu behaupten: „Der emeritierte Papst hätte sich in Schweigen hüllen sollen“, denn „in den ernstesten Augenblicken soll eine einzige Stimme an der Spitze gehört werden, andernfalls sät man Verwirrung“. Er verdächtigt Benedikt XVI. „unter dem Einfluss der ultra-konservativen deutschen Kardinäle Walter Brandmüller und Gerhard Müller, dem ehemaligen Präfekten der Glaubenskongregation, dessen Mandat der argentinische Papst 2017 nicht erneuert hat, zu stehen; zwei Prälaten, die seiner Meinung nach „in ein weites Unternehmen der Spaltung verwickelt sind, um die Sünden der Pädophilie im Schoße der Kirche der Gay-Kultur und dem Verlust des Glaubens zuzuschieben“.

Angesichts solcher Reaktionen verdienen die Überlegungen des ehemaligen deutschen Papstes in Ruhe genauer betrachtet zu werden. Sie stellen sich in drei Teilen dar: der gesellschaftliche Zusammenhang; die Folgen für die Männer der Kirche; die Suche nach einer angemessenen Lösung.

Erster Teil: die Ursachen

Der gesellschaftliche Zusammenhang zur Zügellosigkeit der Sitten

Benedikt XVI. will zunächst herausstellen, „dass in den 60er Jahren ein ungeheuerlicher Vorgang geschehen ist, wie es ihn in dieser Größenordnung in der Geschichte wohl kaum je gegeben hat. Man kann sagen, dass in den 20 Jahren von 1960 – 1980 die bisher geltenden Maßstäbe in Fragen der Sexualität vollkommen weggebrochen sind.“

Hier liegen die tiefen Ursachen der Missbräuche: Die libertäre Revolution der 60er Jahre und das gewaltsame Einführen einer immer zügelloseren Sexualerziehung, begleitet von der Verbreitung der Pornografie, die in alle Bildschirme der Kinos und dann der des Fernsehens eindringt. Von diesem Zeitpunkt an findet man Lobredner der Pansexualität, um die Pädophilie hochleben zu lassen und zu fördern.

Diese Analyse wird durch die Meinungsmacher energisch bestritten. Doch genügt es, den Artikel über Apologie der Pädophilie in der Enzyklopädie in Wikipedia (https://de.wikipedia.org/wiki/Pädophilenbewegung) zu konsultieren, um über diesen Gegenstand entsprechend erbaut zu sein.

Die Einführung ist lehrreich: „Die Apologie der Pädophilie ist die Gesamtheit der Handlungen, Schriften und Stellungnahmen die darauf ausgehen, dass in der Gesellschaft die Pädophilie akzeptiert wird oder um einfach ihr Lob zu singen. Diese Richtung war vor allem vorherrschend in dem Zeitabschnitt, den man die sexuelle Revolution nennt, in besonderer Weise in den Jahren, die unmittelbar 1968 gefolgt sind, und dies bei Personen, die sich als pädophil bezeichnet haben, oder auch als ,Sympathisanten‘. Gewisse Personengruppen und auch Einzelpersonen haben danach getrachtet, die Pädophilie als annehmbare sexuelle Anziehung darzustellen oder die Begriffe der sexuellen Mehrheit oder des sexuellen Missbrauchs an Minderjährigen zu bestreiten. Die Pädophilie wurde gleichzeitig in diesem Zeitabschnitt zum Gegenstand von verschiedenen Formen des Vergnügens in den Medien, in der Politik und bei Intellektuellen. Diese Bewegung hat nie einen Grad der feststehenden und bedeutungsvollen Anerkennung erreicht trotz einiger Unterstützung durch die Medien und die Politik in beschränkter Art und Weise in den Jahren 1970.“

In Frankreich hat eine Zeitschrift wie Libération lange Zeit gekämpft für die Lockerung in der Gesetzgebung was den Missbrauch von Minderjährigen betrifft, in großer Aufmachung unterstützt durch Petitionen, die Personen wie Aragon, Roland Barthes, Simone de Beauvoir, François Chatelet, Patrice Chéreau, Jacques Derrida, Françoise Dolto, Michel Foucault, André Glucksmann, Félix Guattari, Bernard Kouchner, Jack Lang, Alain Robbe-Grillet, Jean-Paul Sartre, Philippe Sollers unterzeichneten. Daniel Cohn-Bendit, einer der Gestalten vom Mai 68, hat das Lob der Pädophilie gesungen, sei es selbst mit einem kleinen Mädchen von fünf Jahren.

Benedikt XVI. sieht in dieser ekelerregenden Flut, die die Pädophilie „als erlaubt und als angemessen diagnostiziert“, eine der Erklärungen der Verderbnis der Jugend, eingeschlossen eine ganze Generation von Priestern, von denen viele als Folge davon ihr Amt aufgegeben haben.

Die Revolution in der Moraltheologie

Parallel dazu hat sich ein „Zusammenbruch“ der katholischen Moraltheologie und der Lehre der Kirche auf dem Gebiet der Sitten ereignet. Es war dies die Frucht einer wahren Revolution, geboren aus der bewussten Verachtung des Naturgesetzes.

Benedikt XVI. schreibt: „Bis hin zum II. Vatikanum wurde die katholische Moraltheologie weitgehend naturrechtlich begründet, während die Heilige Schrift nur als Hintergrund oder Bekräftigung angeführt wurde. Im Ringen des Konzils um ein neues Verstehen der Offenbarung wurde die naturrechtliche Option weitgehend abgelegt und eine ganz auf die Bibel gegründete Moraltheologie gefordert.“

Dieses Eingeständnis hat sein Gewicht: Das Konzil wird angeführt als verantwortlich für das Aufgeben des Naturgesetzes. Die Analyse Benedikts XVI. bekennt dieses Aufgeben ohne zu ermessen, so scheint es, dass es einen Bruch mit der Tradition darstellt. Denn die Moraltheologie kommt nicht ohne das Naturgesetz aus oder kann sich von diesem lösen: Die Gnade zerstört nicht die Natur, sondern setzt sie voraus. Die Moral ohne diese aufrichten zu wollen, ist reiner Widersinn (siehe Nouvelles de Chrétienté Nr. 176, März-April 2019, S. 5-9). Darüber hinaus ist es illusorisch, Naturgesetz und Offenbarung sich entgegenzusetzen. Denn das Naturgesetz ist in der Heiligen Schrift, Quelle der Offenbarung, enthalten, wie der Dekalog dies klar aufzeigt. Dieses Gesetz ist durch Gott selbst, Urheber der Natur, dem Herzen des Menschen eingeschrieben.

Von daher rühren die unzähligen Abweichungen der neuen Theologie und in besonderer Weise der moralische Relativismus, den Benedikt XVI. ganz zu recht an den Pranger stellt. Von da aus auch die Forderung der Unabhängigkeit der Theologen bezüglich des Lehramtes, das als Feind der Freiheit und Bremse des Fortschritts der Theologie und der Menschheit aufgefasst wird. Benedikt XVI. erwähnt mehrere Episoden dieses Bestreitens.

Er versucht sich und mit ihm Johannes Paul II. zu verteidigen, indem er sein Handeln hervorhebt, als er Präfekt der Kongregation für die Glaubenslehre war. Unter seiner Leitung ist der neue Katechismus der katholischen Kirche veröffentlicht worden, während die Enzyklika Veritatis splendor trotz ihrer Beschränktheit das Bestehen der unantastbaren Fundamente der Moral herausstellt.

Die Angriffe auf das Lehramt der Kirche

Der emeritierte Papst erwähnt auch jene These „dass dem kirchlichen Lehramt nur in eigentlichen Glaubensfragen endgültige Kompetenz („Unfehlbarkeit“) zukommt“. Dieses Argument wurde verbreitet und angenommen; als Konsequenz ergab sich, dass „Fragen der Moral nicht Gegenstand unfehlbarer Entscheidungen des kirchlichen Lehramtes werden“ könnten.

Obwohl er an dieser These „wohl Richtiges“ sieht – was ihr Gehalt gibt –, verteidigt Josef Ratzinger das Bestehen eines „Minimum morale, das mit der Grundentscheidung des Glaubens unlöslich verknüpft ist“ und ohne das die Unfehlbarkeit der Kirche und des Papstes in Fragen des Glaubens und der Sitten nicht bestehen könnte. Die radikalsten Streithähne, die das nicht wissen, behaupten logischerweise „dass die Kirche keine eigene Moral hat und haben kann“.

Die Antwort des emeritierten Papstes ist die klare Behauptung, dass die Grundlage einer jeden Moral die Offenbarung ist, gemäß der der Mensch nach dem Ebenbild Gottes geschaffen worden ist, der Glaube an den einen Gott und der Pilgeraspekt des christlichen Lebens. Wir sind auf dem Weg dem bleibenden Vaterland entgegen und die Kirche muss die Gläubigen vor der Welt schützen.

Zweiter Teil: Die Wirkungen

Der zweite Teil der Überlegungen Benedikts XVI. zeigt, welches die Einbrüche waren, hervorgerufen durch die doppelte Auflösung der christlichen Moral einerseits und der Autorität der Kirche auf dem Gebiet der Sitten andererseits. Hier bemüht er sich, die Wirkungen anzuprangern, wobei er gleichzeitig das Konzil und seine Reformen in Schutz nimmt. Er anerkennt nichtsdestotrotz das Ungenügen der angewandten Sanktionen – und der Heilung – die die Kirche nach dem Konzil ergriffen hat.

Bruch in der Formung in den Seminaren

Der ehemalige Präfekt der Glaubenskongregation, der vieles zu diesem Gegenstand sagen kann, erwähnt an erster Stelle die Heranbildung der Priester. Er gibt ohne Umschweife zu, dass bei „dem Problem der Vorbereitung zum priesterlichen Dienst in den Seminaren in der Tat ein weitgehender Zusammenbruch der bisherigen Form dieser Vorbereitung festzustellen ist“. Dieser Bruch in der Formung hat dazu geführt, dass „in verschiedenen Priesterseminaren sich homosexuelle Clubs bildeten, die mehr oder weniger offen agierten und das Klima in den Seminaren deutlich veränderten. In einem Seminar in Süddeutschland lebten Priesterkandidaten und Kandidaten für das Laienamt des Pastoralreferenten zusammen. Bei den gemeinsamen Mahlzeiten waren Seminaristen, verheiratete Pastoralreferenten zum Teil mit Frau und Kind und vereinzelt Pastoralreferenten mit ihren Freundinnen zusammen. Das Klima im Seminar konnte die Vorbereitung auf den Priesterberuf nicht unterstützen.“

Der Heilige Stuhl wusste um solche Probleme, die in besonderer Weise in den Vereinigten Staaten vorherrschten. Apostolische Visitationen wurden angeordnet. Hier findet sich die einzige Erwähnung der Homosexualität in den Seminaren. In einem Dokument, das von der Pädophilie spricht, ist dies mehr als was die Medien und die Meinungsmacher ertragen können…

Bruch in der Auswahl und Ernennung der Bischöfe

In diesem Klima des moralischen Zusammenbruchs gibt Josef Ratzinger auch zu, dass die Umsetzung des Konzils als Folge nach sich zog, Hirten in der Hierarchie der Kirche aufsteigen zu lassen, die für ihre Aufgabe unzureichend herangebildet waren.

„Da nach dem II. Vatikanum auch die Kriterien für die Auswahl und Ernennung der Bischöfe geändert worden waren, war auch das Verhältnis der Bischöfe zu ihren Seminaren sehr unterschiedlich. Als Kriterium für die Ernennung neuer Bischöfe wurde nun vor allen Dingen ihre Konziliarität angesehen, worunter freilich sehr Verschiedenes verstanden werden konnte. In der Tat wurde konziliare Gesinnung in vielen Teilen der Kirche als eine der bisherigen Tradition gegenüber kritische oder negative Haltung verstanden, die nun durch ein neues, radikal offenes Verhältnis zur Welt ersetzt werden sollte. Ein Bischof, der vorher Regens gewesen war, hatte den Seminaristen Pornofilme vorführen lassen, angeblich mit der Absicht, sie so widerstandsfähig gegen ein glaubenswidriges Verhalten zu machen. Es gab – nicht nur in den Vereinigten Staaten von Amerika – einzelne Bischöfe, die die katholische Tradition insgesamt ablehnten und in ihren Bistümern eine Art von neuer moderner ,Katholizität‘ auszubilden trachteten.“

Hinter dieser Feststellung verbirgt sich die wahre „Reinigung“, deren Opfer die der Tradition verbundenen Bischöfe waren; sie wurden systematisch zur Seite gesetzt oder durch einen progressistischen Episkopat ersetzt, der für die neuen Ideen gewonnen war, jene des Konzils und des aggiornamentos, das praktisch alles Mögliche erlaubte. Es handelt sich um die Anwendung des Vatikanums II durch Papst Paul VI., von dem hier die Rede bei der Ernennung der Bischöfe ist. Diese Frage würde verdienen noch vertieft zu werden.

Bruch in der kanonischen Gesetzgebung

Benedikt XVI. schneidet schließlich direkt die Frage der Pädophilie und des Ungenügens der Mittel des Zurückdrängens, so wie sie der neue Kodex zur Verfügung stellt, an. Dieser Abschnitt ist in besonderer Weise lichtvoll.

„Die Frage der Pädophilie ist (…) erst in der zweiten Hälfte der 80er Jahre brennend geworden.“ Die Bischöfe der Vereinigten Staaten, wo das Problem inzwischen zu einem öffentlichen angewachsen war, suchten in Rom Hilfe, „weil das Kirchenrecht, so wie es im neuen Kodex [1983] verfasst ist, nicht ausreichend schien, um die nötigen Maßnahmen zu ergreifen. (…) Eine Erneuerung und Vertiefung des bewusst locker gebauten Strafrechts des neuen Kodex musste sich erst langsam Bahn schaffen.“

An der Basis dieser bewusst gewollten Schwäche war „ein grundsätzliches Problem in der Auffassung des Strafrechts. Als „konziliar“ galt nur der sogenannte Garantismus[1], d. h. es mussten vor allen Dingen die Rechte der Angeklagten garantiert werden und dies bis zu einem Punkt hin, der faktisch überhaupt eine Verurteilung ausschloss. (…) Es wurde nun deren Recht auf Verteidigung im Sinn des Garantismus soweit ausgedehnt, dass Verurteilungen kaum noch möglich waren.“

Der emeritierte Papst rechtfertigt sein Handeln, indem er sein Verhalten so erklärt: „Ein ausgewogenes Kirchenrecht (…) muss also nicht nur garantistisch für den Angeklagten sein (…). Es muss auch den Glauben schützen (…). Der Glaube erscheint im allgemeinen Rechtsbewusstsein nicht mehr den Rang eines zu schützenden Gutes zu haben.“

Wegen diesem Garantismus musste man die Schwierigkeit umgehen, indem man die Kompetenz über diese Delikte von der Kleruskongregation, die normalerweise für Delikte von Priestern zuständig ist, auf die Glaubenskongregation übertragen hat und zwar unter dem Titel „Delicta majora contra fidem“. „Mit dieser Zuweisung war auch die Möglichkeit zur Höchststrafe, d. h. zum Ausschluss aus dem Klerus möglich, die unter anderen Rechtstiteln nicht zu verhängen gewesen wäre.“ Um den Glauben zu schützen, musste man eine wahre Strafprozedur auf die Beine stellen mit der Möglichkeit, in Rom Berufung einzulegen.

So hat die unerbittliche Logik des Personalismus, der dem Individuum den Platz vor der Gesellschaft und vor dem bonum commune zuweist, die Gerechtigkeit der Kirche mit dem Kodex des Kirchenrechtes des Jahres 1983 praktisch unwirksam gemacht. Seit damals hat sich die Römische Kurie bemüht, das Hindernis zu umgehen um den Preis von rechtlichen Verrenkungen und mit mäßigen Resultaten. Ein Schlammassel…

 

[1] Die Verpflichtung, jemandem die Nutzung seiner Rechte zu garantieren.

Le cardinal Joseph Ratzinger en 2001

Dritter Teil: Perspektiven

Benedikt XVI. beendet seine Überlegungen damit, indem er versucht, einige Perspektiven für eine Lösung aufzuzeigen.

Das Erinnern an die Existenz Gottes, denn eine Gesellschaft ohne Gott unterdrückt die Unterscheidung zwischen Gut und Böse

In diesem Text wendet er sich hauptsächlich an die Priester und ermahnt sie zur Gottesliebe, aber auch dazu, die Existenz Gottes gegenüber der Welt klar herauszustellen. Man muss das göttliche Eingreifen in der Geschichte der Menschheit anerkennen, denn das Zurückweisen Gottes zieht die Zerstörung der Freiheit nach sich:

„Eine Gesellschaft, in der Gott abwesend ist – eine Gesellschaft, die ihn nicht kennt und als inexistent behandelt, ist eine Gesellschaft, die ihr Maß verliert. In unserer Gegenwart wurde das Stichwort vom Tod Gottes erfunden. Wenn Gott in einer Gesellschaft stirbt, wird sie frei, wurde uns versichert. In Wahrheit bedeutet das Sterben Gottes in einer Gesellschaft auch das Ende ihrer Freiheit, weil der Sinn stirbt, der Orientierung gibt. Und weil das Maß verschwindet, das uns die Richtung weist, indem es uns Gut und Böse zu unterscheiden lehrt. Die westliche Gesellschaft ist eine Gesellschaft, in der Gott in der Öffentlichkeit abwesend ist und für sie nichts mehr zu sagen hat. Und deswegen ist es eine Gesellschaft, in der das Maß des Menschlichen immer mehr verloren geht.“

Wegen der Abwesenheit Gottes sind Menschen dazu gekommen, den Laxismus bis zur Pädophilie zu verbreiten.

Nebenbei bemerkt Benedikt XVI., dass die Männer der Kirche nicht hinreichend über Gott in der Öffentlichkeit sprechen. Er scheint zu bedauern, dass die europäische Verfassung Gott als „Maßstab für die Gemeinschaft im Ganzen“ nicht kennt. Wem kommt dabei die Schuld zu, nachdem die Autoritäten der Kirche seit dem II. Vatikanum sich darum bemüht haben, die katholischen Staaten zu zerstören, indem sie die Anrufung des einen und dreifaltigen Gottes am Anfang ihrer Verfassungen abschafften?

Die liturgische Frage

Der emeritierte Papst fährt fort: Es genügt nicht, die Existenz Gottes ins Gedächtnis zu rufen, man muss auch aus der Menschwerdung leben, in besonderer Weise durch die hl. Eucharistie. Treu seinen früheren Lehren, macht er eine Besorgnis erregende Feststellung:

„Unser Umgang mit der Eucharistie kann nur Sorgen erwecken. Im II. Vatikanischen Konzil ging es zu Recht darum, dieses Sakrament der Gegenwart von Leib und Blut Christi, der Gegenwart seiner Person, seines Leidens, Sterbens und Auferstehens wieder in die Mitte des christlichen Lebens und der Existenz der Kirche zu rücken. (…) Aber weithin dominant ist eine andere Haltung: Nicht eine neue Ehrfurcht vor der Anwesenheit von Tod und Auferstehung Christi dominiert, sondern eine Art des Umgehens mit ihm, die die Größe des Geheimnisses zerstört. Die sinkende Teilnahme an der sonntäglichen Eucharistiefeier zeigt, wie wenig wir Christen von heute noch die Größe der Gabe einzuschätzen vermögen, die in seiner realen Anwesenheit besteht. Die Eucharistie wird zu einer zeremoniellen Geste abgewertet, wenn es als selbstverständlich gilt, dass die Höflichkeit (sic!) es gebietet (…) sie allen zu reichen, die eingeladen sind.“

Diese Erwägungen sind im eigentlich Sinn überraschend und zeigen klar die Grenzen der Analyse des ehemaligen Papstes, der an der Reform Paul VI. festhält und gleichzeitig eine Liturgie bedauert, die banal geworden ist, weil sie entsakralisiert ist. Wir kommen darauf zurück.

Der Glaube an die Kirche

Schließlich wendet sich der ehemalige Oberste Hirte dem Geheimnis der Kirche zu. Er fragt sich und bedauert die Pseudo-Hoffnungen, die in Wirklichkeit keine Zukunft gehabt haben. Wie er soeben erklärt hat, dass das II. Vatikanum „eine Rückkehr“ des Sakramentes der Eucharistie gewollt hat – mit einem miserablen Resultat –, ebenso erklärt er, dass das II. Vatikanum aus der Kirche eine nicht äußerliche, sondern eine Wirklichkeit machen wollte, „die in den Seelen erwacht“. Fünfzig Jahre später fühlt er sich beim Wiederbedenken dieses Vorgangs und beim Blick auf das, was eben geschah, versucht zu sagen: „Die Kirche stirbt in den Seelen.“ Diese Feststellung eines offenkundigen Scheiterns müsste dazu führen, die ekklesiologischen Prinzipien des II. Vatikanums in Frage zu stellen. Unglücklicherweise kann davon nicht die Rede sein. Benedikt XVI. findet eine andere Erklärung:

„In der Tat wird die Kirche heute weithin nur noch als eine Art von politischem Apparat betrachtet [man müsste besser von soziologischem Apparat sprechen]. Man spricht über sie praktisch fast ausschließlich mit politischen Kategorien, und dies gilt hin bis zu Bischöfen, die ihre Vorstellung über die Kirche von morgen weitgehend ausschließlich politisch formulieren. Die Krise, die durch die vielen Fälle von Missbrauch durch Priester verursacht wurde, drängt dazu, die Kirche geradezu als etwas Missratenes anzusehen, das wir nun gründlich selbst neu in die Hand nehmen und neu gestalten müssen. Aber eine von uns selbst gemachte Kirche kann keine Hoffnung sein.“

Es wird immer Unkraut mitten im Weizen auf dem Ackerfeld des Herrn geben, und schlechte Fische neben guten im Fischernetz der Kirche. Und er schließt durch eine schöne Anwendung einer Textstelle der Apokalypse (12,10), wo der Teufel als „Ankläger unserer Brüder“ dargestellt wird, so wie er es mit Job gehalten hat, den er vor Gott angeklagt hat.

„Dem Schöpfergott steht der Teufel gegenüber, der die ganze Menschheit und die ganze Schöpfung schlechtredet. Der sagt nicht nur zu Gott, sondern vor allen Dingen zu den Menschen: Seht euch an, was dieser Gott gemacht hat. Angeblich eine gute Schöpfung. In Wirklichkeit ist sie in ihrer Ganzheit voller Elend und Ekel. (…) Er will beweisen, dass Gott selbst nicht gut ist und uns von ihm abbringen. (…) Es geht heute in der Anklage gegen Gott vor allen Dingen darum, seine Kirche als ganze schlecht zu machen und uns so von ihr abzubringen. Die Idee einer von uns selbst besser gemachten Kirche ist in Wirklichkeit ein Vorschlag des Teufels, mit dem er uns vom lebendigen Gott abbringen will durch eine lügnerische Logik, auf die wir zu leicht hereinfallen. Nein, die Kirche besteht auch heute nicht nur aus bösen Fischen und aus Unkraut. Die Kirche Gottes gibt es auch heute, und sie ist gerade auch heute das Werkzeug, durch das Gott uns rettet. Es ist sehr wichtig, den Lügen und Halbwahrheiten des Teufels die ganze Wahrheit entgegenzustellen: Ja, es gibt Sünde in der Kirche und Böses. Aber es gibt auch heute die heilige Kirche, die unzerstörbar ist.“

Dieser schöne Abschnitt, der einerseits so tröstlich ist, darf indes die Wirklichkeit der Krise nicht verdecken, die durch verderbliche Lehren hervorgerufen worden ist, welche schlechte Hirten mit vollen Händen ausgestreut haben.

Kommentar

Eine Analyse mit Grenzen

Die Diagnostik, welche Benedikt XVI. gibt, erweist sich einerseits als gestreng und scheint sehr lichtvoll zu sein; aber sie bleibt auf der symptomatischen Linie: Er beschreibt die Krankheit durch das, was sie offenbart, er geht auf gewisse ihrer Ursachen zurück, aber er ist unfähig, die tieferen wahren Ursachen anzugeben oder die Krankheit selber. Dies hat wiederum zur Folge, dass er nur Palliativbehandlungen vorschlagen kann, welche, wie jedermann weiß, nur die Symptome einer Krankheit mindert ohne die Ursache zu beseitigen.

Gewiss, die libertäre Revolution hat unsere Gesellschaft, in der wir leben, zutiefst gekennzeichnet, und sie stürzt die Gewissen in den Abgrund. Aber diese Revolution vollzog sich im Gleichschritt mit dem Konzil, das sich genau zur Aufgabe gestellt hatte, die Zeichen der Zeit zu deuten, um auf die Erwartungen der Welt zu antworten. Auf diese Art hat die Kirche sich in einen Maelström der Reformen gestürzt, der Gläubige und Hirten in gleicher Weise mitgerissen hat. 

Während die 68er Maibewegung sagte: „Lasst uns mit der Vergangenheit tabula rasa machen“, hatte das II. Vatikanum sich bereits diesen Geist zu eigen gemacht, indem es danach trachtete, mit der Tradition tabula rasa zu machen. Dieser Geist ist in mehreren Texten des Konzils gegenwärtig, wie Dignitatis Humanae, Unitatis redintegratio, Gaudium et spes, wie auch in den verschiedenen Erklärungen, die es abschlossen. Diese Revolution hat sich auf verschiedene Art und Weise gezeigt, in besonderer Weise in den Seminaren. Die Kleriker und Ordensjugend sind angesteckt worden durch die Atmosphäre einer materialistischen, atheistischen und zügellosen Welt.

Die Mai-Revolution von 1968 betonte: „Es ist verboten zu verbieten.“ Die erschütterte Moraltheologie hat diesen Slogan aufgegriffen und den Relativismus verkündet und gleichzeitig eine Richtungsangabe durch das Lehramt zurückweist.

Die Symptome liegen also offen zutage. Aber Benedikt XVI. weist es von sich, die Ursachen im Konzil und seinen Reformen zu suchen im Namen dieser Interpretation des Umgehens, die er vertritt: Die berühmte Hermeneutik des Bruches, der er eine Hermeneutik der Kontinuität entgegenstellt, um so das II. Vatikanum und das nachfolgende Lehramt von jeder Verantwortung reinzuwaschen.

Eine erdrückende Verantwortung

In dieser verwirrten Zeit, nämlich der Epoche der 60er Jahre bis zu unseren Tagen, muss man klar sagen, dass die Autorität nicht wirksam gehandelt hat, was ein Zeichen entweder tragischer Schwäche oder der Komplizenschaft ist. Aber war es nicht der „heilige“ Paul VI., der das Schiff Petri in dieser Epoche steuerte? War dieser „Heilige“ in solcher Art und Weise schwach, oder war er Mittäter?

Wenn man eine Wirkung mit Regelmäßigkeit feststellt, so offenbart sie eine Ursache. Diese auf eine Hermeneutik zu beschränken ist ungenügend. Die Schlussfolgerung muss bis zum Ende geführt werden, man muss den Mut haben, bis zu den Krankheitskeimen vorzudringen, die sich im Konzil finden, sonst verzichtet man auf das Prinzip der Kausalität.

Dies umso mehr, als die Maßnahmen, die ergriffen wurden, um das Problem zu lösen, auf ihre Art einen Krankheitskeim offenbaren, der sich ausbreitet. Der emeritierte Papst ist gezwungen, das Ungenügen des neuen Kirchenrechts einzugestehen und sein Ungenügen, die Probleme zu lösen. Aber wer hat diesen Kodex promulgiert? Und wer ist in der Folge verpflichtet gewesen, Gerüste als Hilfslösungen aufzustellen, die ihrerseits wiederum selber ungenügend waren? Ist dies nicht der „heilige“ Johannes Paul II.?

Und woher rührt dieses Ungenügen? Aus dem Prinzip der modernen Freiheit, das durch den Personalismus auf die ganze Gesetzgebung der Kirche angewandt wird und diese Gesetzgebung unwirksam macht. Die Autorität selbst hat sich die Hände gebunden, indem sie erklärte, sie wolle nicht verurteilen, wie die Reden Johannes XXIII. bei der Eröffnung des Konzils und Pauls VI. bei seiner Schließung deutlich bezeugen.

Was die Blindheit über die Schädlichkeit der liturgischen Reform anbetrifft, so ist sie fast eine Karikatur. Der emeritierte Papst spricht von den guten Absichten des Konzils und den schönen Verwirklichungen. Dann stellt er fest, dass das Resultat katastrophal ist, aber er hütet sich wohl zu jener Schlussfolgerung vorzudringen, die sich hier aufdrängt. Die Tatsache, dass die Bischöfe die Kirche nur noch in politischen oder soziologischen Kategorien sehen, lässt ihn auch nicht fragen über die Qualität der neuen Ekklesiologie, die durch Lumen gentium vertreten wird.

Darum werden diese Vorschläge für eine Verbesserung trotz eines gewissen palliativen Wertes nicht imstande sein, die Krankheit zu überwinden. Wie Mgr. Lefebvre sagte, ist der Modernismus eine Art geistigen Aids, das sich in der Kirche ausgebreitet hat und das den Organismus schwächt, indem es ihn seiner Gegenkräfte beraubt. Diejenigen, die von ihm angesteckt sind, haben nicht mehr die notwendige Kraft, um den Angreifer zu erkennen und die angemessenen Mittel ins Werk zu setzen, um ihn zu überwinden. Allein die Wiederherstellung aller Dinge in Christus durch die Treue der Kirche zu ihrer eigenen Tradition, ihren sakrosankten Riten, zu ihrer geoffenbarten Lehre, zu ihrer vollkommenen Moral und zu ihrer jahrhundertealten Disziplin können das Schiff Petri wieder auf Kurs bringen und unsere heilige Mutter von den großen Beleidigungen waschen, die sie seit allzu langer Zeit entstellen.