Die Bruderschaft hält einen Schatz in ihren Händen: Gespräch mit P. Davide Pagliarani

Quelle: FSSPX Aktuell

Gespräch mit P. Davide Pagliarani, dem Generaloberen der Priesterbruderschaft St. Pius X.

Hochwürdiger Herr Pater Generaloberer, Sie folgen einem Bischof nach, der während 24 Jahren an der Spitze der Priesterbruderschaft war und der Sie sogar zum Priester geweiht hat. Was empfinden Sie in seiner Nachfolge?

Man hat mir schon eine ähnliche Frage gestellt, als ich zum Regens des Seminars von La Reja ernannt wurde, wo zwei Bischöfe vor mir mit diesem Amt betraut waren.  Sagen wir mal: In diesem Fall ist es etwas komplizierter! Bischof Fellay ist eine wichtige Persönlichkeit in der Geschichte der Bruderschaft, weil er die Bruderschaft für einen Zeitraum regierte, der die Hälfte ihrer ganzen Existenz ausmacht. Während dieser langen Periode hat es nicht an Prüfungen gefehlt und dennoch ist die Bruderschaft immer noch da, hält sie immer noch das Banner der Tradition hoch. Ich denke, dass diese Treue der Bruderschaft ihrer Sendung gegenüber in gewisser Weise die Treue meines Vorgängers zu seiner eigenen Sendung widerspiegelt. Von daher möchte ich ihm im Namen aller danken.

Manche wollen in Ihnen eine ganz andere Persönlichkeit sehen als die ihres Vorgängers. Gibt es etwas, worin Sie glauben, sich wirklich zu unterscheiden?

Ich muss zugeben – cum grano salis – dass ich unverbesserlich bin in meiner Abneigung gegen alle elektronischen Hilfsmittel ohne Ausnahme und ohne auch nur die Möglichkeit einer Meinungsänderung. Bischof Fellay hingegen ist ein Experte auf diesem Gebiet…

Wie sehen Sie die Priesterbruderschaft St. Pius X., die Sie nun für 12 Jahre leiten sollen?

Die Bruderschaft hält einen Schatz in ihren Händen. Man hat vielfach darauf hingewiesen, dass dieser Schatz der Kirche gehört. Aber ich denke, dass man sagen kann, dass er rechtmäßig auch uns gehört. Er gehört uns, und genau deswegen ist die Bruderschaft ganz und gar ein Werk der Kirche. Schon jetzt!

Die Tradition ist ein Schatz. Um ihn jedoch treu zu bewahren, müssen wir uns bewusst sein, dass wir zerbrechliche Gefäße sind. Der Schlüssel für unsere Zukunft liegt hier: in dem Bewusstsein unserer Schwäche und der Notwendigkeit, über uns selbst zu wachen. Es genügt nicht, den Glauben in seiner Ganzheit zu bekennen, wenn unser Leben nicht treuer und konkreter Ausdruck dieses ganzen Glaubens ist. Die Tradition leben bedeutet, sie zu verteidigen, für sie zu kämpfen, zu streiten, damit sie zu allererst in uns selbst und unseren Familien triumphiert. Dann wird sie in der Folge auch in der der ganzen Kirche triumphieren können.

Unser sehnlichster Wunsch ist es, dass die offizielle Kirche die Tradition nicht als eine Last oder als längst überholten Tand betrachtet, sondern sehr wohl als den einzig möglichen Weg, um sich selbst zu erneuern. In jedem Fall sind die großen theologischen Diskussionen nicht genügend, um dieses Werk zu vollenden: Wir brauchen zu allererst Seelen, die zu jedwedem Opfer bereit sind. Das gilt für die Gottgeweihten genauso wie für die Gläubigen.

Wir selbst müssen immer unseren Blick auf die Tradition erneuern, und zwar nicht nur in einer ganz theoretischen Form, sondern wahrhaft übernatürlich, im Licht des Opfers unseres Herrn Jesus Christus am Kreuz. Das wird uns vor den beiden entgegengesetzten Gefahren bewahren, die sich manchmal gegenseitig bedingen: Ein pessimistischer, ja fast schon defätistischer Überdruss und eine gewisse austrocknende Kopflastigkeit. Ich bin überzeugt, dass wir hier den Schlüssel haben, um den verschiedenen Schwierigkeiten entgegenzutreten, auf die wir treffen können.

Die Lehre verkünden, sei es gelegen oder ungelegen, mit einer grenzenlosen Geduld und immer belehrend.

Gilt das auch für das Hauptproblem, die Krise in der Kirche?

Was sind heute die wichtigen Themen? Die Berufungen, die Heiligung der Priester, die Sorge um die Seelen. Die dramatische Situation der Kirche darf keinen solchen psychologischen Einfluss auf unseren Geist haben, dass wir nicht mehr bereit wären, unsere Pflichten zu erfüllen. Die Klarsicht darf nicht lähmend wirken: Wenn das geschieht, verwandelt sie sich in Finsternis. Die Krise im Licht des Kreuzes zu sehen ermöglicht es uns, die abgeklärte Ausgeglichenheit zu bewahren und die Distanz. Ausgeglichenheit und Distanz sind beide gleichermaßen unentbehrlich, um ein sicheres Urteil zu gewährleisten.

Die augenblickliche Lage der Kirche ist die eines tragischen Niedergangs: Niedergang der Berufungen, der Zahl der Priester, der religiösen Praxis, Verschwinden der christlichen Gepflogenheiten, des elementarsten Empfindens für Gott, das sich – Gott sei es geklagt – heute in der Zerstörung der natürlichen Moral ausdrückt.

Die Bruderschaft besitzt mithin alle Mittel, um die Bewegung zurück zur Tradition zu leiten. Genauer gesagt müssen wir uns zwei Forderungen stellen: Auf der einen Seite unsere Identität bewahren, indem wir die Wahrheit verkünden und den Irrtum anprangern: Prædica verbum: insta opportune, importune : argue, obsecra, increpa – „Verkünde das Wort! Tritt dafür ein, ob gelegen oder ungelegen, tadle, weise zurecht und ermahne“ (2 Tim. 4, 2). Andererseits in omni patientia, et doctrina, „in aller Geduld und Lehrweisheit“ (ebenda). Jene zur Tradition ziehen, die in diese Richtung gehen, sie ermutigen, sie Schritt für Schritt einführen in den Kampf und eine immer mutigere Haltung. Es gibt noch ehrlich katholische Seelen, die nach der Wahrheit dürsten. Wir haben nicht das Recht, ihnen den Becher des Wassers des Evangeliums zu verweigern aus einer Haltung der Gleichgültigkeit oder des Hochmutes heraus. Oft sind es schlussendlich genau diese Seelen, die uns selbst ermutigen durch ihren eigenen Mut und Einsatz.

Das sind die beiden sich ergänzenden Forderungen, die wir nicht voneinander trennen können. Man darf keines von beiden bevorzugen, weder das Aufdecken der Irrtümer, die aus dem II. Vatikanum hervorgegangen sind, noch den Beistand für jene, die sich der Krise bewusstwerden und der Erleuchtung bedürfen. Diese doppelte Notwendigkeit ist im Innersten nur eine, denn sie ist eine Offenbarung der einen Liebe zur Wahrheit.

Wie verwirklicht man konkret diese Hilfe für die Seelen, die nach Wahrheit dürsten?

Ich denke, man darf der Vorsehung keine Grenzen setzen. Sie wird uns von Fall zu Fall die Mittel passend zu den verschiedenen Herausforderungen geben. Jede Seele ist eine Welt für sich, sie hat einen persönlichen Lebenslauf hinter sich. Man muss sie individuell kennen, um in der Lage zu sein, ihr wirksam Hilfe zu leisten. Es handelt sich vor allem um eine grundsätzliche Einstellung, die wir bei uns pflegen müssen. Eine im Vorhinein gefasste Bereitschaft, zu Hilfe zu eilen. Nicht die illusorische Sorge, universal auf die Welt im gesamten einzuwirken, was sich dann auf den je einzelnen auswirken würde.

Hier einige konkrete Beispiele: Unsere Seminare beherbergen gegenwärtig mehrere nicht zur Bruderschaft gehörende Priester, drei in Zaitzkofen, zwei in La Reja, die in der Lage der Kirche klar sehen wollen und die vor allem wünschen, ihr Priestertum in seiner Ganzheit zu leben.

Es ist die Ausstrahlung des Priestertums, und nur durch diese, wodurch die Kirche zur Tradition zurückgeführt wird. Wir müssen unbedingt diese Überzeugung wiederbeleben. Die Priesterbruderschaft St. Pius X. feiert bald ihr 48jähriges Bestehen. Durch Gottes Gnade hat sie eine wunderbare Ausbreitung in der ganzen Welt gefunden; sie hat Werke, die überall erblühen, zahlreiche Priester, Distrikte, Priorate, Schulen…Die Kehrseite dieser Ausdehnung ist das unvermeidliche Schwächerwerden des Geistes der anfänglichen Eroberung. Ohne es zu wollen, sind wir mehr und mehr damit beschäftigt, die täglich aus dieser Entwicklung entstehenden Probleme zu lösen. Der apostolische Geist kann darunter leiden; die großen Ideale laufen Gefahr, fad zu werden. Wir sind bei der dritten Generation von Priestern seit der Gründung der Bruderschaft im Jahr 1970… Wir müssen den missionarischen Eifer wiederfinden, denjenigen, den unser Gründer uns eingehaucht hat.

Wie verstehen Sie in dieser Krise, unter der so viele traditionstreue Gläubige leiden, die Beziehungen zwischen Rom und der Bruderschaft?

Auch hier müssen wir versuchen, eine übernatürliche Sichtweise zu bewahren, indem wir es vermeiden, diese Frage zur Obsession werden zu lassen. Jede Obsession verschließt nämlich den Geist des Betroffenen und hindert ihn daran, sein eigentliches Ziel, die objektive Wahrheit, zu erreichen.

Ganz besonders heute müssen wir die Überstürzung im Urteil vermeiden. Sie wird durch die modernen Kommunikationsmittel gefördert. Stürzen wir uns nicht in „alleingültige“ Kommentare eines römischen Dokuments oder eines diffizilen Sachverhaltes: sieben Minuten, um sich etwas aus den Fingern zu saugen und eine Minute, bis es online verfügbar ist… Den exklusiven „Knüller“ haben, den „Hype“ generieren, das verlangen die neuen Medien. Aber damit liefern sie nur eine sehr oberflächliche Information und – was noch schlimmer ist – auf lange Sicht gesehen verhindern sie jedes seriöse und tiefergehende Nachdenken. Die Leser, Hörer, Zuseher sind beunruhigt, verängstigt… Diese Ruhelosigkeit beeinflusst entscheidend die Aufnahme der Information. Die Bruderschaft hat zu sehr unter dieser ungesunden und – in letzter Konsequenz – weltlichen Tendenz gelitten, sodass wir alles versuchen müssen, dies höchst dringend zu ändern. Je weniger wir mit dem Internet verbunden sind, desto mehr finden wir die Ausgeglichenheit des Geistes und des Urteils. Je weniger Bildschirme wir haben werden, umso mehr werden wir selbst zu einer objektiven Einschätzung der tatsächlichen Fakten und ihrer wirklichen Bedeutung befähigt sein.

In unseren Beziehungen mit Rom geht es nicht darum hart oder lax, sondern ganz einfach realistisch zu sein.

Was unsere Beziehungen zu Rom betriff, was sind da die Fakten?

Seit den lehrmäßigen Gesprächen mit den römischen Theologen kann man sagen, dass wir uns mit zwei Quellen der Kommunikation konfrontiert sehen. Zwei Arten der Beziehungen, die sich auf Ebenen zeigen, die man gut unterscheiden muss:

  1. Es gibt eine offizielle Quelle, allgemein zugänglich, klar, die von uns stets Erklärungen verlangt mit im Wesentlichen einem gleichbleibenden lehrmäßigen Inhalt.
  2. Eine andere Informationsquelle ist dieses oder jenes Mitglied der Kurie, im privaten, interessanten Austausch. Sie enthält neue Elemente über den relativen Wert des Konzils, über diesen oder jenen anderen doktrinellen Punkt… Es sind dies unveröffentlichte Diskussionen, interessant und sicherlich wert, verfolgt zu werden. Aber es sind nicht mehr als informelle Gespräche, halboffiziell, privat, wohingegen auf offizieller Ebene – trotz eines gewissen Fortschritts in der Sprache – die gleichen Forderungen stets wiederholt werden.

Natürlich nehmen wir genau zur Kenntnis, was im Privaten positiv geredet wird, aber hier spricht nicht im eigentlichen Sinn Rom. Das sind gutwillige und schüchterne Nikodemus-Seelen. Sie sind nicht die offizielle Hierarchie. Man muss sich also strikt an die offiziellen Dokumente halten und erklären, warum wir sie nicht akzeptieren können.

Die jüngsten offiziellen Verlautbarungen – z.B. der Brief von Kardinal Müller vom Juni 2017 – bezeugen stets die gleiche Forderung: Das Konzil muss im Voraus akzeptiert werden, und danach erst besteht die Möglichkeit, die Gespräche über das, was für die Bruderschaft nicht klar ist, fortzusetzen; bei dieser Vorgehensweise werden unsere Einwände reduziert auf subjektive Lese- und Verständnisschwierigkeiten. Man verspricht uns Hilfe, um gut zu verstehen, was das Konzil wirklich sagen wollte. Die römischen Autoritäten machen aus dieser vorausgehenden Anerkennung eine Frage des Glaubens und des Prinzips. Sie sagen es ausdrücklich. Ihre Forderungen heute sind die gleichen wie vor 30 Jahren. Das II. Vatikanische Konzil muss akzeptiert werden als in der Kontinuität der kirchlichen Tradition stehend, als ein Teil, der in diese Tradition integriert werden muss. Man gesteht uns zu, dass es von Seiten der Bruderschaft Vorbehalte geben kann, die der Erklärung bedürfen. Aber auf keinen Fall ein Verwerfen der Lehren des Konzils so wie sie sind: Hier spricht schlicht und einfach das Lehramt!

Nun aber liegt genau hier das Problem, immer an der gleichen Stelle, und wir können es nicht verschieben: Was ist die dogmatische Autorität eines Konzils, das pastoral sein wollte? Was ist der Wert dieser neuen vom Konzil verkündeten Prinzipien, die systematisch, kohärent und in vollkommener Kontinuität auf das angewandt wurden, was von eben dieser Hierarchie gelehrt wurde, die sowohl für das Konzil als auch für die nachkonziliare Entwicklung verantwortlich ist? Das tatsächliche Konzil ist das Konzil der Religionsfreiheit, der Kollegialität, des Ökumenismus, der „lebendigen Tradition“…; es ist leider Gottes nicht das Resultat einer schlechten Auslegung. Der Beweis ist die Tatsache, dass dieses tatsächliche Konzil nie von der zuständigen Autorität berichtigt oder korrigiert wurde. Es beinhaltet einen Geist, eine Lehre, eine Art und Weise die Kirche zu verstehen, die ein Hindernis für die Heiligung der Seelen darstellen. Die dramatischen Wirkungen hiervon liegen allen ehrlich denkenden Menschen und allen, die guten Willens sind, offen vor Augen. Dieses tatsächliche Konzil, welches sowohl eine verkündete Lehre als auch eine Lebensform beinhaltet, wurde dem „Volk Gottes“ aufgezwungen. Wir weigern uns, es als ein Konzil anzuerkennen, das den übrigen gleichgestellt ist. Deswegen diskutieren wir über die Autorität desselben, aber immer in einem Geist der Liebe, denn wir wollen nichts anderes als das Wohl der Kirche und das Heil der Seelen. Unsere Gespräche sind nicht einfach ein theologisches Lanzenbrechen. Tatsächlich geht es um Themen, die nicht „diskutierbar“ sind: Das Leben der Kirche steht hier unzweifelhaft auf dem Spiel. Darüber wird uns Gott richten.

Das ist also die Sichtweise, an die wir uns bei den offiziellen Texten Roms halten, getragen von Respekt, aber auch von Realismus; es geht nicht um die Frage, ob wir rechts oder links sind, hart oder lax: Es geht darum, ganz einfach realistisch zu sein.

Was ist in dieser Zeit des Wartens zu tun?

Darauf kann ich nur antworten, indem ich einige Schwerpunkte zur Sprache bringe. Zunächst Vertrauen haben auf die Vorsehung. Sie wird uns nicht verlassen, sie hat uns immer Zeichen ihres Schutzes und ihres Wohlwollens gegeben. Zweifeln, zögern, von ihr andere Garantien zu verlangen, wäre ein schwerwiegender Mangel an Dankbarkeit. Unsere Stabilität und unsere Stärke hängen von unserem Gottvertrauen ab: Ich denke, uns allen tut in dieser Sache eine Gewissenserforschung not.

Des Weiteren müssen wir jeden Tag den Schatz neu entdecken, den wir in den Händen tragen und uns erinnern, dass dieser Schatz von unserem Herrn Jesus Christus selber stammt, der ihn mit seinem Blut bezahlt hat. Indem wir uns regelmäßig in die Größe dieser erhabenen Realitäten versetzen, werden unsere Seelen in einer gewohnheitsmäßigen Anbetung verbleiben und sich so stärken, wie es für den Tag der Prüfung notwendig ist.

Wir müssen auch mehr und mehr Sorge tragen für die Erziehung der Kinder. Man muss ganz klar das Ziel vor Augen haben, das wir erreichen wollen. Man darf keine Angst davor haben, ihnen vom Kreuz zu sprechen, vom Leiden unseres Herrn, von seiner Liebe zu den Kleinen, vom Opfer. Es ist unabdingbar, dass die Kinderseelen schon von zarter Jugend auf ergriffen sind von der Liebe unseres Herrn, noch bevor der Geist der Welt sie verführen und begeistern kann. Diese Frage ist absolut vorrangig, und wenn es uns nicht gelingt, das weiterzugeben, was wir selber empfangen haben, dann ist es ein Zeichen dafür, dass wir nicht genügend überzeugt sind.

Schließlich müssen wir gegen eine gewisse intellektuelle Faulheit ankämpfen: Es ist die Lehre, auf welcher sich unser Kampf für die Kirche und die Seelen begründet. Man muss sich darum bemühen, unsere Analyse der wichtigen Ereignisse der Zeit im Licht der ewigen Wahrheit zu erneuern. Wir dürfen uns nicht damit begnügen, faul einfach zu kopieren, etwas, was das Internet – nochmals sei es gesagt – unglücklicherweise begünstigt. Die Weisheit lenkt und ordnet alles, jede Sache findet ihren richtigen Platz.

Der Kreuzzug für die Messe, den Erzbischof Lefebvre wollte, ist aktueller denn je.

Was genau können die Gläubigen tun?

In der Messe finden die Gläubigen den Widerhall des epheta, des „Tu dich auf!“, das der Priester in der Taufe ausspricht. Ihre Seele öffnet sich einmal mehr für die Gnade des heiligen Opfers. Schon die ganz kleinen Kinder, welche der Messe beiwohnen, spüren diese geheiligte Atmosphäre, welche die überlieferte Liturgie ausstrahlt. Allen voran heiligt die Teilnahme an der Messe das Leben der Eheleute mit allen seinen Prüfungen und gibt ihm einen zutiefst übernatürlichen Sinn, denn die Gnaden des Ehesakramentes fließen aus dem Opfer unseres Herrn. Die Teilnahme an der Messe erinnert sie daran, dass Gott sich ihrer bedienen will als Mitarbeiter am schönsten seiner Werke: Der Heiligung und dem Schutz der Seelen ihrer Kinder.

Anlässlich seines Jubiläums 1979 hat uns Erzbischof Lefebvre eingeladen zu einem Kreuzzug der Messe, denn Gott will das Priestertum erneuern und durch dieses die Familie, die heute von allen Seiten angegriffen wird. Seine Vision war geradezu prophetisch; heute ist das eine Wirklichkeit geworden, die jeder feststellen kann. Das was er vorhergesehen hat, spielt sich heute vor unseren Augen ab:

„Was bleibt uns zu tun, meine geliebten Brüder? Wenn wir uns in dieses große Geheimnis der heiligen Messe vertiefen, dann glaube ich sagen zu können: Wir müssen einen Kreuzzug beginnen! Treten Sie ein für das heilige Messopfer, für das Blut unseres Herrn Jesus Christus. Treten Sie ein für diesen unbesiegbaren Fels und für diese unerschöpfliche Quelle der Gnade, für das heilige Messopfer, wie wir es alle Tage sehen. Sie sind hier, weil Sie das heilige Messopfer lieben. Warum sind diese jungen Seminaristen im Seminar von Ecône, in unserem Seminar in den Vereinigten Staaten, in Deutschland? Warum sind sie dort? Sie kommen in unsere Seminare wegen der heiligen Messe, wegen der heiligen Messe aller Zeiten. Diese heilige Messe ist die Quelle aller Gnaden, die Quelle des heiligen Geistes, der christlichen Kultur, wenn sie vom Priester gefeiert wird. Wir müssen einen Kreuzzug beginnen. Dieser Kreuzzug muss für diesen ewigen Begriff des Opfers eintreten, um die Christenheit neu zu beleben und zu stärken. So wie es sich die Kirche wünscht und immer hervorgebracht hat, mit denselben Grundsätzen, demselben heiligen Messopfer, denselben Sakramenten, demselben Katechismus und derselben Heiligen Schrift.“ (Predigt von S. E. Erzbischof Marcel Lefebvre am 23. September 1979 in Paris)

Diese Christenheit muss sich im Alltag erneuern, durch die treue Erfüllung unserer Standespflichten, dort, wo der liebe Gott uns hingestellt hat. Manche bedauern mit Fug und Recht, dass die Kirche und die Bruderschaft nicht das sind, was sie sein müssten. Sie vergessen, dass sie selbst die Mittel dazu haben, um Abhilfe zu schaffen; an ihrem Platz, durch ihre persönliche Heiligung. Genau da ist jeder Generaloberer… Da ist kein Generalkapitel notwendig, um gewählt zu werden. Man muss jeden Tag diesen Teil der Kirche heiligen, wo man selbst der höchste Herr und Meister ist: seine eigene Seele!

Erzbischof Lefebvre fährt fort : „Wir müssen diese Christenheit neu beleben. Sie, meine geliebten Brüder, sind das Salz der Erde. Sie sind das Licht der Welt. An Sie richtet sich unser Herr Jesus Christus und sagt: Zerstört nicht die Früchte Meines Blutes! Gebt nicht Mein Kalvaria preis! Gebt nicht Mein Opfer preis! Auch die allerseligste Jungfrau Maria, die dem Kreuz ganz nahe steht, sagt Ihnen dasselbe. Ihr Herz wurde durchbohrt. Sie war erfüllt mit Leid und Schmerz. Aber Sie war auch erfüllt mit der Freude, sich mit dem Opfer Ihres göttlichen Sohnes zu vereinen. Sie sagt es Ihnen: Seid Christen, seid Katholiken, lasst euch nicht hinreißen von allen diesen Welt-Ideen, von allen diesen Strömungen, die in der Welt herrschen und die euch zur Sünde und zur Hölle treiben! Wenn wir unserem Herrn Jesus Christus folgen wollen, und wir müssen es, dann lasst uns unser Kreuz tragen. Folgen wir unserem Herrn Jesus Christus nach, ahmen wir Ihn in Seinem Kreuz, in Seinem Leiden, in Seinem Opfer nach.“

Der Gründer der Priesterbruderschaft St. Pius X. hat einen Kreuzzug der Jugend, der christlichen Familien, der Familienväter, der Priester ausgerufen. Er besteht mit einer Beredsamkeit, die uns vierzig Jahr später immer noch bewegt, darauf, denn wir sehen, wie sehr dieses Heilmittel sich auf die gegenwärtigen Übel anwenden lässt:

„Das Erbe, das Jesus Christus uns hinterlassen hat, ist Sein Opfer! Es ist Sein Blut! Es ist Sein Kreuz! Das ist das Ferment der christlichen Kultur und dessen, was uns in den Himmel führen soll. (…) Bewahren Sie dieses Testament unseres Herrn Jesus Christus, bewahren Sie die heilige Messe aller Zeiten! Dann werden Sie die christliche Kultur wieder aufblühen sehen.“

Vierzig Jahre später können wir uns dieses Kreuzzuges nicht entziehen. Er fordert einen noch höheren Eifer und einen noch brennenderen Enthusiasmus für den Dienst an der Kirche und den Seelen. Wie ich es am Anfang dieses Interviews gesagt habe, gehört die Tradition ganz uns, aber diese Ehre bedeutet auch eine schwere Verantwortung: Wir werden gerichtet werden nach dem Grad der Treue in der Weitergabe dessen, was wir empfangen haben.

Pater General, bevor wir zum Ende kommen, erlauben Sie uns eine persönliche Frage. Hat die Aufgabe, die am 11. Juli dieses Jahres auf Ihre Schultern gelegt wurde, Sie nicht erschreckt?

Ja, ich muss zugeben, dass ich ein wenig Angst hatte, und dass ich selbst ein wenig im Herzen gezögert habe, bevor ich sie annahm. Wir sind alle zerbrechliche Gefäße und das gilt auch für denjenigen, der zum Generaloberen gewählt wird: Selbst wenn es sich um ein Gefäß handelt, dass ein wenig sichtbarer und größer ist, als die anderen, so ist es doch nicht weniger zerbrechlich.

Allein der Gedanke an die allerseligste Jungfrau gab mir die Kraft, diese Furcht zu überwinden: Ich setze mein Vertrauen in sie allein, und zwar zur Gänze. Sie ist nicht aus Ton, denn sie ist aus Elfenbein, sie ist kein zerbrechliches Gefäß, denn sie ist ein uneinnehmbarer Turm: Turris eburnea. Sie ist wie ein geordnetes Kriegsheer, terribilis ut castrorum acies ordinata. Sie weiß im Vorhinein, dass der Sieg der einzig mögliche Ausgang aller Schlachten sein wird: „Am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren.“