Hat die Mutter Gottes das Gelübde der Jungfräulichkeit abgelegt?

Quelle: FSSPX Aktuell

Unsere Liebe Frau ist eine Jungfrau, die sich ihre Jungfräulichkeit ihr ganzes Leben lang bewahrt hat: vor, während und nach der Geburt ihres göttlichen Sohnes. Die Kirchenväter haben sich gefragt, ob Maria ein Gelübde abgelegt hat, Jungfrau zu bleiben. Der Heilige Thomas von Aquin fasst die Tradition zu diesem Thema zusammen.

Ausgangspunkt dieser Überlegungen ist Marias Antwort auf den Erzengel Gabriel, der ihr ihre Mutterschaft ankündigt: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“. Lk 1,26. Um diese Antwort richtig zu verstehen, müssen wir uns daran erinnern, dass das Verb „erkennen“ in der Heiligen Schrift verwendet wird, um von fleischlichen Beziehungen zu sprechen.

Da die Jungfrau Maria mit dem heiligen Josef verlobt ist - eine Verlobung, die bei den Juden fast einer Ehe gleichkommt -, weist diese Frage darauf hin, dass es sich hier um die Jungfräulichkeit handelt die die Absicht einschließt, sie im Geiste der Hingabe an Gott zu bewahren.

So versteht es auch der hl. Augustinus: „Auf die Ankündigung des Engels antwortet Maria: ‚Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?‘ Was sie sicherlich nicht gesagt hätte, wenn sie nicht zuvor Gott ihre Jungfräulichkeit geweiht hätte“ De sancta virginitate, 4 (zitiert von St. Thomas). Viele Väter folgten dem heiligen Augustinus.

Die schöne Erklärung des Kirchenlehrers

Bei der Darlegung der Angemessenheit dieses Gelübdes stellt der heilige Thomas das Prinzip der Vergabe der Vorrechte in den Vordergrund: Man muss bei der Heiligen Jungfrau das Vollkommenste annehmen, und die durch ein Gelübde geweihte Jungfräulichkeit ist vollkommener als die nicht geweihte Jungfräulichkeit. Also hat sie das Gelübde abgelegt.

Der Engelgleiche Lehrer erklärt an anderer Stelle, dass „das, was durch ein Gelübde getan wird, vollkommener ist. Denn das Wesen des Gelübdes besteht darin, den Willen im Guten zu bestätigen“. Er sagt auch, dass es für einen „bereits geheiligten Willen wie den Unserer Lieben Frau, die sich einer vollkommenen Tugend erfreut, nicht nützlich ist, viele Gelübde zu machen“.

Er stellt sich daher die Frage: „Warum das Gelübde der Jungfräulichkeit, wo es doch ausreichte, vollkommene Keuschheit zu leben?“. Die Antwort ist sehr schön und klar: „Weil es die Person in einem Lebensstand festlegt“, so dass man im Akt eines solchen Gelübdes sein ganzes Leben verschenken kann.

Er erklärt weiter: „Wenn man es mit den anderen Gelübden von Religiösen vergleicht, wird das Gelübde des Gehorsams ausreichend durch die Verpflichtung zur Ehe unter der Autorität des heiligen Josef ersetzt, und das Gelübde der Armut ist für eine Familienmutter nicht ratsam.“

Er merkt jedoch an, dass die Sitte der Zeit es nicht zugelassen hätte, dass eine Frau nicht heiratet, weil alle Mitglieder des auserwählten Volkes an seiner Verbreitung teilhaben sollten. Daher ist er mit einigen Vätern der Meinung, dass die Jungfrau Maria sich zuerst mit Josef verlobt hat und dass dann beide in gegenseitigem Einvernehmen das Gelübde der Jungfräulichkeit abgelegt haben.

Anderen Autoren zufolge ist es aber auch möglich, dass die Übereinkunft von Josef und Maria vor der Verlobung stattfand und sie das Gelübde vor der Heirat ablegten.

Kardinal Cajetan - ein großer Kommentator des heiligen Thomas - fügt hinzu: „Ist es nicht zu erwarten, dass dieser heilige Bräutigam, als er seiner Frau erlaubte, ihre Jungfräulichkeit während der Ehe zu geloben, gleichzeitig selbst das gleiche Gelübde ablegte?

„Vor allem im Hinblick auf die göttliche Vorsehung, die Josef sozusagen zu diesem Entschluss verleiten musste, damit die Jungfrau der Jungfrauen einen ebenso jungfräulichen Bräutigam als Gefährten und Beschützer haben würde. Außerdem wäre Maria nicht ‚voll der Gnade‘ gewesen, wenn diese Gnade, die sie in ihrer grundlegenden Rechtschaffenheit über alles begehren musste, bei ihrem Bräutigam gefehlt hätte“.

So ist die Jungfrau Maria nach dem gemeinsamen Urteil die erste, die das Gelübde der Jungfräulichkeit ablegt, sowohl zeitlich als der Vollkommenheit nach.