Interview mit Bischof Bernard Fellay über das Fatimajubiläum und die Kirchenkrise

Quelle: FSSPX Aktuell

Anmerkung des Herausgebers: Die Fragen in dem folgenden Interview wurden Ende 2017 an Bischof Fellay gesandt. Aufgrund verschiedener Hindernisse konnte das Interview erst diesen Monat vollendet werden.

Nichtsdestotrotz haben wir die Bezüge zum Jubiläumsjahr bewahrt, wie sie im Originaltext der Fragen enthalten sind. Wir sind Seiner Exzellenz dankbar, dass er uns die Gelegenheit gibt, die Bedeutung von Fatima für unsere Zeit zu diskutieren.

Maike Hickson (MH): Das Jubiliäum der Erscheinungen unserer Lieben Frau von Fatima ist bald vorbei. Was ist Ihr Urteil über die Art und Weise, wie die katholische Kirche diese gefeiert hat? Und was halten Sie davon, wie die Botschaft von Fatima in verschiedenen Veranstaltungen der Amtskirche dargestellt wurde? Was, wenn überhaupt, fehlte den Feierlichkeiten, im Vergleich zum unverfälschten Inhalt und der gesamten Botschaft von Fatima?

Bischof Bernard Fellay: Als Erstes geht es um die Förderung der Andacht zum Unbefleckten Herzens Mariens. Wenn etwas fehlt, dann beginnt es hier.

Es gibt nahezu keinen Bezug zu dieser Andacht zum Unbefleckten Herzen Mariens. Zweitens gibt es kaum einen Bezug zum bedeutsamen Dritten Geheimnis von Fatima. Deshalb ist Fatima reduziert auf eine eher normale Erscheinung der Heiligen Jungfrau Maria unter anderen. (Viele scheinen so zu denken:) „Ja, lasst uns beten und Gnaden erhalten, aber lasst uns nicht von dem großen Einfluss unserer Lieben Frau auf unsere schreckliche Zeit und auf die Kirche sprechen.“

MH: Würden Sie für uns kurz wiederholen, was Ihrer Meinung nach die Hauptbotschaften der Erscheinungen von Fatima sind; und insbesondere der Kern der Drei Geheimnisse von Fatima, soweit sie uns bisher von offizieller Seite dargestellt werden? 

Bischof Bernard Fellay: Im ersten Geheimnis haben wir, neben der Andacht zum Unbefleckten Herzen Mariens als ein Heilsmittel, die Vision der Hölle. Dies erinnert uns an die wichtigen Konsequenzen der Sünde und daran, dass wir Opfer bringen müssen, um Seelen für den Himmel zu gewinnen. 

Im zweiten Geheimnis gibt es eine weitere Konsequenz der Sünde, den Krieg. „Wenn die Welt sich nicht bekehrt, wird es einen weiteren Krieg geben, schrecklicher als der erste.“

Was ist das Dritte Geheimnis? Der veröffentlichte Teil ist sehr geheimnisvoll: wir sehen die Verfolgung der Kirche mit vielen Toten, den Heiligen Vater unter ihnen. Aber es ist schwierig, viel daraus zu folgern. In der Tat können wir, in dem was veröffentlicht wurde, nicht den Triumph des Unbefleckten Herzens sehen. Dies wurde jedoch durch Schwester Lucia als Fazit des Dritten Geheimnisses offenbart.

MH: Auf mehreren größeren Fatima-Veranstaltungen hat Kardinal Raymond Burke teilgenommen und öfter lange Reden gehalten, wie zum Beispiel kürzlich auf der Buckfast Abbey Fatima Conference am 12.Oktober 2017. Nachdem er auf verschiedene Arten des Glaubensabfalls in der Kirchengeschichte und heutzutage eingegangen war, sagte der Kardinal Folgendes über das mysteriöse Dritte Geheimnis von Fatima:

„Ohne in eine Diskussion über die vollständige Veröffentlichung des Dritten Geheimnisses einsteigen zu wollen, scheint es mir aus den am meisten akzeptierten Untersuchungen der Erscheinungen in Fatima klar zu sein, dass das Geheimnis von den teuflischen Kräften in unserer Zeit handelt, die auf die Welt losgelassen werden und direkt in das gegenwärtige Leben der Kirche eindringen. Diese führen die Seelen von der Glaubenswahrheit, besonders von der göttlichen Liebe weg, die aus dem ruhmreich durchbohrten Herzen Jesu fließt.“

Können Sie dieses Urteil in angesichts weitergehender Diskussionen kommentieren, was uns möglicherweise nicht vollkommen veröffentlicht wurde in Hinsicht auf das Dritte Geheimnis von Fatima? Könnte der Inhalt, von dem Kardinal Burke hier spricht, abgeleitet oder vermittelt werden von dem offiziellen Teil des Dritten Geheimnisses, das 2000 veröffentlicht wurde, indem von einem sterbenden Bischof in Weiß auf einem Hügel die Rede ist?

Bischof Bernard Fellay: Noch einmal, es ist ziemlich schwierig, konkrete Schlüsse aus diesen Visionen zu ziehen. Wir haben andere Quellen, wie die Vorträge von Pater Fuentes und Briefe von Schwester Lucia, in denen sie von einer teuflischen Verwirrung der Hierarchie spricht. Ist es oder ist es nicht vollkommen veröffentlicht? Es spielt eigentlich keine Rolle. Es ist die Realität, in der wir leben, die eine wichtige Rolle spielt. In diesem Sinn können wir die gegenwärtige Wirklichkeit der katastrophalen kirchlichen Situation als Teil der Botschaft von Fatima ansehen.

MH: Lassen Sie uns noch etwas tiefer in die Frage des Dritten Geheimnisses gehen. Sie selbst haben Vorträge darüber gehalten, in denen Sie das Argument vorgestellt haben, das Dritte Geheimnis sei nicht vollkommen veröffentlicht. Können Sie uns den Einwand und einige seiner Folgerungen erläutern?

Bischof Bernard Fellay: Das offensichtlichste Argument dafür, dass das Dritte Geheimnis wohl unvollständig veröffentlicht wurde, kommt von den Schriften von Schwester Lucia in ihren Memoiren selbst. Sie leitete das Dritte Geheimnis damit ein, dass die Allerseligste Jungfrau Maria spricht: „In Portugal wird das Dogma des Glaubens bewahrt […] am Ende wird mein Unbeflecktes Herz triumphieren, der Heilige Vater wird mir Russland weihen“, und so weiter.

Dieser Teil wird von Schwester Lucia als Drittes Geheimnis angegeben, kommt aber in all dem, was von Rom veröffentlicht wurde, nicht vor.

Man kann folgern, dass im dritten Teil der Botschaft etwas fehlt, weil in den beiden anderen Teilen jeweils eine Vision und eine Erklärung derselben enthalten sind. Im veröffentlichten Teil des Dritten Geheimnisses gibt es keine Erklärung.

MH: Mit diesem Interview hoffen wir in die diesjährige Diskussion über Fatima und all seine Feierlichkeiten die gnadenreiche, aber warnende Botschaft der Muttergottes über den Glaubensabfall in den höheren Rängen der Kirche zurückzubringen.

Erst im letzten Jahr (2016) wurde dieses Anliegen neu von Dr. Alice von Hildebrand diskutiert, welche offenbarte, dass dieser Glaubensabfall und die ‚Infiltration der Kirche an ihrer Spitze‘ Teil des Dritten Geheimnisses ist, so wie es ihrem Ehemann Dietrich von Hildebrand und ihr von einem gut bekannten und informierten Priester einst in Rom vorgestellt worden war.

Haben Sie Ihrerseits unabhängige Quellen, die Ihnen persönlich Hinweise darauf gegeben haben, dass nicht alle Teile des Dritten Geheimnisse, die von Schwester Lucia aufgeschrieben wurden, veröffentlicht worden sind? Falls ja, könnten Sie uns einen Eindruck über den Inhalt von den Berichten geben, deren Quelle Sie verständlicherweise schützen wollen?

Bischof Bernard Fellay: Nein, ich habe absolut keine Kenntnis davon, was noch im Dritten Geheimnis stehen könnte.

MH: Von Ihren eigenen Studien aus beurteilt – was ist Ihre Einschätzung, was der fehlende Teil des Dritten Geheimnisses konkret enthalten könnte? Wovor will uns der Himmel immer noch warnen?

Bischof Bernard Fellay: Wenn wir alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, scheint es mir, dass es zwei Teile gibt: zum einen eine schreckliche Naturkatastrophe oder eine Katatrophe, die durch Krieg herbeigeführt wird, zum anderen die große Krise der Kirche. Es ist klar, dass die wichtigste Angelegenheit die Rettung der Seelen ist, aber die Androhung von Strafe in dieser Welt hilft, den Menschen zu Gott zurückzuführen

MH: Da es mich persönlich berührt, wie wir in der katholischen Kirche Zeuge davon werden, wovor uns Unsere Liebe Frau im Dritten Geheimnis gewarnt hat, habe ich letztes Jahr einige hochrangige Prälaten in Rom aufgesucht. Ich bat um Hilfe, die fehlenden Texte von Schwester Lucia aufzudecken, damit mehr Licht in die gnadenreiche und warnende Botschaft Unserer Lieben Frau komme.

Mir wurde ausserdem gesagt, es gäbe tatsächlich Leute in Rom, die dieses heikle Thema sehr sorgfältig untersuchen, aber allem Anschein nach ist letztlich nichts geschehen.

Ich weiß von anderen Quellen, die Zweifel haben, wie Rom das Thema bisher behandelt hat. Was ist Ihrer Meinung nach der Grund, warum es das andauernde Zögern dieser Leute in der Kirche gibt, die doch zu höherem Nutzen mehr Informationen geben könnten. Was befürchten sie denn noch zu verlieren? Wäre eine Veröffentlichung nicht ein Akt der Barmherzigkeit gegenüber der leidenden Kirche in dieser tiefen Krise?

Bischof Bernard Fellay: Ich erinnere mich an ein Interview von Schwester Lucia mit einem indischen Kardinal Mitte der Neunziger Jahre, als sie voller Angst war, der Papst könnte das Geheimnis veröffentlichen. Sie sagte, wenn sie dem Heiligen Vater einen Rat geben würde, würde sie ihn zu größter Vorsicht raten.

Wenn der Text möglicherweise etwas über das Kommen des Antichrist oder etwas anderes Schwerwiegendes aussagt, das schwere Zweifel an den Autoritäten der Kirche säen würde, könnte das der Grund sein, warum die Autoritäten zögern es zu publizieren. Ich meine nicht, dass diese Beispiele der Fall sind. Ich stelle nur Vermutungen darüber an, warum es nicht veröffentlicht wird.

MH: Angesichts der Tatsache, dass wir nicht weiterzukommen scheinen im Bestreben ein vollständigeres Wissen über das zu bekommen, was der Himmel für uns plant – währenddessen auch wissend, dass unser Misserfolg innerhalb der Vorsehung Gottes ist – was raten Sie all jenen aufrechten Katholiken, die die ganze Wahrheit über Fatima zu haben wünschen?

Bischof Bernard Fellay: Es gibt Dinge, die wichtiger sind, als Wissen, nämlich das katholische Leben. Es ist offensichtlich, dass, wenn die Allerseligste Jungfrau Maria wollte, dass das Geheimnis bekannt wird, es einen wichtigen Grund gibt, dass Katholiken und eventuell die ganze Welt es wissen. Aber selbst wenn wir es nicht haben, sollen wir jeden Tag unsere Standespflichten erfüllen. Das ist es, was am meisten zählt.

MH: Nun will ich Ihren Rat für einen anderen Bereich erbitten. Viele Katholiken beobachten mit großer Angst wie loyale Gläubige innerhalb der Kirche, welche die traditionelle Ehelehre verteidigen, wie Professor Josef Seifert, Pater Thomas Weinandy und andere, geächtet und zum Schweigen gebracht werden. Einige Katholiken schauen mit Furcht in unsere Zukunft und fragen sich, was sie uns wohl bringen wird, die wir loyal zu Christus und Seiner Lehre stehen. Was für eine innere Haltung der Seele und klare Leitung können Sie uns zu entwickeln empfehlen? Worum sollen wir beten?

Bischof Bernard Fellay: Erstens, haben wir größtes Vertrauen in Gott, der diejenigen niemals verlassen wird, die gläubig sind. Vertrauen wir auf die Gnade. Zweitens, bleiben wir standhaft im Glauben, egal, was es kostet und folgen wir den Geboten.

MH: Viele Beobachter sehen vermehrt Parallelen zwischen den Prinzipien, auf denen die Priesterbruderschaft St Pius X. (FSSPX) ihren Widerstand gegen die neuen Lehren aus Rom früher aufgebaut hat und den Prinzipien, die von denen Kritikern des Dokuments Amoris laetitia angeführt werden.

Professor Seifert selbst machte schon mehrfach deutliche Verweise auf Ihren so ähnlichen Fall. Können Sie uns die Grundsätze erklären, die Ihrer Meinung nach die beiden Fälle ähnlich und miteinander korrespondierend machen?

Bischof Bernard Fellay: Wir haben Seelen zu retten. Die Kirche ist nicht neu. Wenn wir dem folgen, was die Kirche und die Heiligen immer getan haben, können wir sicher sein, auf dem Weg zum Himmel zu sein. Zu allen Zeiten hat die Kirche Neuerungen als gefährlich und als Früchte des Stolzes angesehen. Wir können heute sagen, dass es ein krankhaftes Streben nach Neuerungen und Veränderungen gibt. Aber Gott ändert sich nicht. Der Glaube ändert sich nicht. Die Gebote ändern sich nicht. Seien Sie gläubig gegenüber dem, was die Kirche immer im Katechismus gelehrt hat und Sie werden auf der richtigen Seite des Kampfes für Gott und Seinen Ruhm sein.

MH: Die Priesterbruderschaft hat von Beginn an gewisse Aspekte des Ökumenismus und der Religionsfreiheit kritisiert. Wie würden Sie diesen früheren Widerstand mit der aktuellen Debatte um die Unauflöslichkeit der Ehe in Verbindung bringen, vor dem Hintergrund, dass andere Religionen dieses Dogma oft nicht beinhalten?

Bischof Bernard Fellay: Weil einige Religionen die Unauflöslichkeit der Ehe ablehnen, könnten wir denken, dass diese Schritte von Rom durch den Ökumenismus inspiriert sind. Aber ich bin mir nicht sicher, ob es hier wirklich eine Verbindung gibt. Ich meine, dass es um eine allgemeine Relativierung der Wahrheit geht. Und daraus folgt eine unverbindliche Anwendung von Gottes Gesetz und dem Verständnis von Gottes Geboten. Oder wenn man den Grundsätzen des Personalismus folgt, vertritt man durch die Überbetonung der menschlichen Person, dass Gottes Wille nicht das oberste Gebot ist. Mit anderen Worten: Der Mensch wird zu Gott. Sie finden dies heutzutage sowohl auf der Ebene der Religion als auch auf der der Gesetzgebung. Johannes Paul II. beschrieb es als Anthropozentrismus. Wir sehen dies nun angewandt auf die Ehe. Jedermann will ein problemloses Leben…

MH: Könnten Sie uns, in Anbetracht des scheinbar zunehmenden Abfalls vom katholischen Glauben innerhalb der katholischen Kirche, am Ende dieses Interviews sagen, wie Sie Ihren eigenen Auftrag, den der Priesterbruderschaft und deren besondere Stellung sehen?

Bischof Bernard Fellay: Wir können sagen, dass die Priesterbruderschaft St. Pius X. durch die göttliche Vorsehung, nicht durch unsere eigenen Verdienste, die Vergangenheit der Kirche repräsentiert, die wir Tradition nennen. Diese kann nicht aus der katholischen Kirche und ihrem Leben entfernt werden. Daher ist es unsere Aufgabe, uns daran zu erinnern. Wir sind nicht einfach ein Denkmal der Vergangenheit. Wir sind ein lebendiges Zeugnis der Tradition der Kirche, welche über allen Veränderungen und Stimmungen der modernen Welt steht. Der Glaube bleibt unsere Mission, besonders in der Wiederbelebung des christlichen Geistes, insbesondere in den Priestern der katholischen Kirche. Die uns eigene Aufgabe ist es, der Kirche zu helfen, das Priestertum in all seiner Reinheit wieder herzustellen.

Jeder Aspekt des christlichen Lebens und der Kirche folgt diesem Grundsatz. Wenn wir die Kirche wiederaufbauen wollen, müssen wir mit dem Priestertum beginnen.

MH: Wissen Sie irgendetwas über die Gerüchte, denen zufolge Papst Franziskus das Motu Proprio Summorum pontificum bald verändern oder untergraben will?

Bischof Bernard Fellay: Nein, ich habe davon keinerlei Kenntnis.

MH: Haben Sie irgendwelche Erwartungen in Bezug auf die offiziellen Beziehungen zu Rom, insbesondere angesichts der Tatsache, dass Sie selbst die Correctio filialis als Antwort auf Amoris laetitia unterzeichnet haben? Haben sich die Verhandlungen mit Rom nun deutlich verzögert oder sind sie verschoben?

Bischof Bernard Fellay: Ich glaube nicht, dass es einen Bezug zwischen meiner Unterschrift und unsere Beziehung mit Rom gibt. Wir sind zu einem gewissen Stillstand gekommen, aber die Dinge bleiben für weitere Diskussionen offen.

MH: Haben Sie abschließend eine Ermutigung für uns, die uns hilft, in der Liebe zu unserem Herrn und Unserer Lieben Frau in Bezug auf die gnadenreiche Botschaft von Fatima wachsen können?

Bischof Bernard Fellay: Wenn die Allerseligste Jungfrau Maria sich die Mühe macht, zur Welt zu sprechen, dann muss das wichtig sein. Also, hören wir auf Sie und Ihre Worte. Wachsen wir in der Andacht zu Ihrem Unbefleckten Herzen. Sie wird unseren Glauben, unsere Hoffnung und unsere Liebe bewahren und uns, wie Sie versprochen hat, in den Himmel führen.