Ist die Mutter Gottes unsere Mutter?

Quelle: FSSPX Aktuell

Die Heilige Jungfrau ist die Mutter Gottes. Es stellt sich die Frage, ob sie auch unsere Mutter ist. In der natürlichen Ordnung schenkt die Mutter dem Kind das Leben, sie ernährt, beschützt und erzieht es.

Im Evangelium sagt unser Herr zu Johannes: „Siehe da, deine Mutter“, Joh. 19,27. Augustinus erklärt in seinem Werk Die heilige Jungfräulichkeit VI, 2: „Maria ist die einzige Frau, von der man sagen kann, dass sie Mutter (...) der Glieder Jesu Christi ist, und wir sind diese Glieder. Sie hat durch ihre Liebe mitgewirkt, dass die Gläubigen in der Kirche geboren wurden. Sie sind die Glieder Christi, des Hauptes.“

Der heilige Pius X. führt diesen Gedanken in seiner Enzyklika Ad diem illum ausführlich aus: „Oder ist Maria nicht die Mutter Christi? Dann ist sie aber auch unsere Mutter. (…) Nun aber hat die Jungfrau den ewigen Sohn Gottes nicht bloß empfangen, damit er die menschliche Natur annehme und so nur Mensch sei, sondern dass er durch die Annahme dieser Menschennatur aus ihr auch der Erlöser der Menschen würde.“

„In einem und demselben Schoße der reinsten Mutter hat er Fleisch angenommen und sich zugleich einen geistigen Leib beigefügt, der aus denen besteht, „die an ihn glauben würden“. So kann man mit Recht sagen: Dadurch, dass Maria in ihrem Schoß den Erlöser umschloss, trug sie in demselben auch die, deren Leben in das Leben des Erlösers einbezogen war.“

„Wir alle also, die wir mit Christus vereinigt und nach den Worten des Apostels „Glieder seines Leibes, von seinem Fleisch und seinem Gebein (Eph. 5,30) sind, sind gleichsam aus dem Schoße Mariens hervorgegangen als ein Leib, der mit dem Haupte vereinigt ist.“

Somit heißen wir geistiger- und mystischerweise mit Recht Kinder Mariens, und sie ist unser aller Mutter: „Mutter freilich dem Geiste nach, aber doch durchaus Mutter der Glieder Christi, die wir sind.“

„Wenn also die selige Jungfrau Maria zugleich Mutter Gottes und der Menschen ist, wer kann daran zweifeln, dass sie sich nicht mit aller Kraft für ihren Sohn, das Haupt des Leibes der Kirche (Kol 1,18), einsetzt, damit er über uns, die wir seine Glieder sind, die Gaben seiner Gnade ausgieße, vor allem die Gabe, ihn zu erkennen und durch ihn zu leben (Joh 4,9).“

Theologische Erklärung

Mutter in der übernatürlichen Ordnung ist diejenige, die das übernatürliche Leben hervorbringt, es nährt, schützt und erzieht. Nun tut Unsere Liebe Frau all dies für die Seelen in der Kirche. Sie ist also die Mutter der Seelen.

Das Fiat der Gottesmutter wird mit der Empfängnis verglichen und ist somit der Moment der Zeugung: Wie die Jungfrau Maria Christus zuerst durch einen Willensakt empfangen hat, so ist auch ihr Akt der Liebe, der die Teilhabe an der Erlösung wollte, der Empfängnis der Seelen gleichzusetzen.

Das Fiat schließt in der Tat eine Ehe zwischen dem Wort und der Menschheit. Die Frucht dieser Ehe zeigt sich in der Erlösung der Seelen. Ihr Ziel ist die Annahme der Menschen durch Gott.  Christus, der aus dieser Ehe hervorgegangen ist, ist das Haupt des mystischen Leibes, und der Hl. Pius X. schließt daraus, dass die Jungfrau Maria, die Mutter Jesu Christi, die Mutter seiner Glieder ist.

Das Mitleiden Unserer Lieben Frau durch das am Fuße des Kreuzes erworbene Verdienst, also aller Gnaden der Gründung der Kirche, der Bekehrung der Seelen und der sakramentalen Gnaden der Taufe verglichen mit der Geburt.

Die Jungfrau Maria hat die Gnaden der Sakramente verdient, die die Stärkung, die Erziehung und den Schutz der Seelen bewirken, was sie auch durch ihre Fürsprache und das Beispiel ihrer Tugenden bewirkte. Sie hat eine besondere Rolle bei der Vorbereitung der Seelen auf den Empfang der Sakramente. Schließlich teilt sie die Gnaden aus.

Diese Mutterschaft übt sie über alle Menschen aus, ob sie nun Mitglieder der Kirche sind, um sie wachsen zu lassen, oder wo sie nicht Mitglieder der Kirche sind, um sie in die Kirche zu führen, so wie Christus, der das Haupt aller Menschen ist die Gnade bereitet.

Tatsächlich „ist die geistliche Mutterschaft im Grunde nichts anderes als die Gnadenvermittlung durch Maria. Sie wird ausgedrückt durch eine auffallende Analogie, die ihre Verwurzelung in der göttlichen Mutterschaft zeigt“. Die Titel « geistliche Mutter der Menschen », « Mittlerin » und « Königin » beinhalten diese Rolle Mariens, nämlich die der Miterlösung, mit unterschiedlichen Bezügen:

- ihre Mutterschaft betont die Sorge um die Geburt aus der Gnade und den geistlichen Fortschritt der Seelen;

- ihre Vermittlung hilft, die Beziehung zu Gott zu knüpfen;

- ihr Königtum zeigt ihre unwiderstehliche und gütige Autorität, ihre Vorzüglichkeit und Würde und ihr Recht auf besondere Verehrung.