Maria – Spiegel der Jungfrauen

Quelle: FSSPX Aktuell

Der heilige Ambrosius (339-397) war zunächst ein römischer Beamter, der schon als Katechumene vom gläubigen Volk als Bischof verlangt wurde. Er war ein kluger Psychologe und ein wahrer Kontemplativer.

 

Dieser tatkräftige Lateiner ging in die Schule der griechischen Väter, um die christliche Lehre zu lernen. Er hatte tiefe Gedanken sowie hohe mystische Ansichten, die unter den Theologen im Westen in seiner Zeit herausstachen. Der folgende Text ist der Abhandlung “Über die Jungfrauen“ entnommen, die an seine Schwester Marcellina, einer gottgeweihten Jungfrau in Rom, gerichtet war.

Den ersten Lerneifer entfacht die Würde des Lehrers. Was überträfe an Würde die Gottesmutter? Was an Glanz jene, die der Abglanz (des Vaters) [Hebr. 1, 3] erwählte? Was an Keuschheit jene, die ohne leibliche Berührung einen Leib gebar? Was soll ich denn von ihren sonstigen Tugenden sprechen? Jungfrau war sie nicht bloß dem Leibe, sondern auch dem Geiste nach: kein verhohlenes Buhlen, mit dem sie die Reinheit der Gesinnung verletzte. Von Herzen demütig, in Worten bedächtig, kluges Sinnes, im Gespräch mehr karg, um so eifriger in der Lesung. Nicht auf das Unzuverlässige des Reichtums, sondern auf das Gebet der Armen setzte sie ihre Hoffnung. Sie war bedacht auf die Arbeit, sittsam in der Rede, gewohnt, nicht einen Menschen, sondern Gott als Zeugen ihres geistigen Sinnens beizuziehen. Niemand beleidigte sie, meinte es allen gut, erhob sich vor älteren Personen, war gegen ihresgleichen nicht gehässig, mied eitles Prahlen, folgte der Vernunft, liebte die Tugend. Wann hätte sie auch nur mit einer Miene den Eltern wehe getan? Wann sich mit den Verwandten entzweit? Wann einen Bresthaften verlacht? Wann einen Dürftigen gemieden, gewohnt, nur solche Mannespersonen aufzusuchen, vor welchen die Barmherzigkeit nicht erröten, an welchen das Zartgefühl nicht vorübergehen brauchte? Nichts Scheeles lag in ihren Augen, nichts Freches in ihrem Benehmen. Die Haltung war nicht zu weichlich, der Gang nicht zu ausgelassen, die Rede nicht zu leichtfertig, so dass schon die äußere Erscheinung ein Abbild ihres Geistes, ein Sinnbild ihrer Tugendhaftigkeit war.

Obschon Mutter des Herrn, oblag sie gleichwohl voll Verlangen der Erfüllung der Gebote des Herrn; obschon Gottesgebärerin, trachtete sie gleichwohl sehnlich nach Gotteserkenntnis.

Das ist das Bild der Jungfräulichkeit. Denn derart war Maria, dass ihr Leben allein die Norm für alle bildet. Wenn uns also die Meisterin nicht missfällt, lasst uns auch ihr Werk billigen! Jede, die ihren Lohn sich wünscht, ahme ihr Beispiel nach! Wie vielfache Tugend strahlt in der einen Jungfrau wider! Eingezogene Sittsamkeit, das Banner des Glaubens, williger Frommsinn: Jungfrau innerhalb des Hauses, eilt sie als Gefährtin zur Dienstleistung (zu Elisabeth), als Mutter zum Tempel. 

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O wie zahllosen Jungfrauen wird Maria entgegeneilen! Wie zahllose in zärtlicher Umarmung dem Herrn entgegenführen mit dem Rufe: Diese hat das Lager meines Sohnes, diese sein Brautgemach in unversehrter Reinheit bewahrt. Wie wird der Herr selbst sie dem Vater empfehlen und gewiss jenes sein Wort wiederholen: Heiliger Vater, diese sind es, die ich Dir behütet habe [John 17,11ff], in denen der Menschensohn das Haupt zur Ruhe niederlegte. Ich bitte, dass, wo ich bin, auch sie mit mir seien [Joh. 17, 24]. Doch wenn ihr Leben nicht allein ihnen frommen darf, weil sie nicht allein sich selbst gelebt haben: lass die eine den Eltern, die andere den Brüdern Erlösung bringen! Gerechter Vater, die Welt hat mich nicht erkannt, diese aber haben mich erkannt und wollten von der Welt nichts wissen [Luk. 2, 41].

Welch glänzender Triumphzug daselbst! Wie endloser Jubel jauchzender Engel, weil sie, die schon in der Welt ein himmlisches Leben lebte, nun der Wohnstätte im Himmel gewürdigt wird! Da wird wiederum Maria zur Pauke greifen und die Chöre der Jungfrauen aufrufen [Vgl. Exod. 15, 20], dem Herrn zu singen, dass sie unberührt von den Fluten der Welt durch das Meer der Welt hindurchgegangen sind [Vgl. Exod. 14, 16 ff]. Dann wird eine jede jubeln und sprechen: „Und ich will hintreten zum Altare meines Gottes und zu Gott, der meine Jugend erfreut“ [Ps. 42, 4]. „Ich opfere Gott ein Opfer des Lobes und löse dem Höchsten meine Gelübde“ [Ps. 49, 14].

Kein Zweifel nämlich, dass euch Gottes Altäre zugänglich sind! Darf ich doch getrost euren Geist einen Altar nennen, worauf täglich Christus zur Erlösung des Leibes geopfert wird. Denn ist schon der Leib einer Jungfrau Gottes Tempel, was erst ihr Geist, der gleichsam die Lohe in den Gliedern schürt und, von der Hand des ewigen Priesters angefacht, den Gluthauch göttlichen Feuers sprüht? Selig ihr Jungfrauen, die ihr so unsterbliche Gnade atmet, wie Gärten Blumenduft, wie Tempel Andachtsweihe, wie Altäre priesterlichen Wohlgeruch!

Quelle: Über die Jungfrauen (De virginibus ad Marcellinam sororem libri tres) In: Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius von Mailand ausgewählte Schriften / aus dem Lateinischen übers. und ausgewählte kleinere Schriften / übers. und eingel. von Joh. Ev. Niederhuber. (Des heiligen Kirchenlehrers Ambrosius ausgewählte Schriften Bd. 3; Bibliothek der Kirchenväter, 1. Reihe, Band 32) Kempten; München: J. Kösel, 1917.