Wahlen in Indien - Die Christen atmen auf
Das Ergebnis der Parlamentswahlen könnte für die Christen eine große Erleichterung bedeuten. Narendra Modi, der Indien seit zehn Jahren unangefochten regiert, hat seine absolute Mehrheit verloren und ist nicht mehr in der Lage, die Verfassung zu ändern, um die von den verfolgten religiösen Minderheiten gefürchtete große Wende zum Hinduismus zu vollziehen.
Der selbstbewusste starke Mann Indiens hatte seinen Anhängern das Ziel gesetzt, 370 der 543 Sitze im indischen Parlament zu erringen. Während das vom amtierenden Premierminister angeführte Bündnis bei den Parlamentswahlen, deren Ergebnisse am 4. Juni 2024 bekannt gegeben wurden, eine parlamentarische Mehrheit erlangte, dürfte die hindu-nationalistische Partei – die Bharatiya Janata Party (BJP) – nur 240 Sitze erhalten. Das ist weit von dem von Narendra Modi gesetzten Ziel entfernt.
Die Opposition, die sich um die Kongresspartei versammelt hatte, schaffte mit 234 Sitzen ein erfolgreiches Comeback. Um eine weitere Amtszeit als indischer Regierungschef zu erlangen, muss Modi zwei Schlüsselfiguren überzeugen, sich ihm in einer Koalition anzuschließen: Nitish Kumar, der Führer des Bundesstaates Bihar, und Chandrababu Naidu aus Andhra Pradesh. Sie sind gewissermaßen zwei Königsmacher, die sich für das Lager des Meistbietenden entscheiden dürften, wahrscheinlich für das des scheidenden Premierministers.
Auch wenn Narendra Modi laut der französischen Tageszeitung Le Monde offiziell eine „historische Leistung“ verkündete, hat der Koloss der BJP gezeigt, dass er auf tönernen Füßen steht und dass „das Land nicht mehr im Einklang mit ihm vibriert“. Und dies trotz einer Kampagne, die sich fast vollständig auf seine Person konzentrierte, die in den Medien fast vergöttlicht wurde.
Die steigende Wahlenthaltung, die zum Teil möglicherweise der exorbitanten Hitzewelle geschuldet war, die das Thermometer auf 50°C im Schatten steigen ließ, mag eine der Ursachen für Modis schlechtes Abschneiden gewesen sein. Das Ergebnis von Narendra Modi lässt sich allerdings auch über die Stimmabgaben der untersten Kasten erklären. Sie sind besorgt, dass die Maßnahmen der sogenannten „positiven Diskriminierung zu ihren Gunsten“ abgeschafft oder zurückgeschraubt werden.
Religiöse Motive treten offenbar hinter die ökonomischen Interessen der Wähler zurück. Die BJP schaffte es nicht, „im Wahlkreis von Ayodhya, jener Stadt in Uttar Pradesh, in der der indische Regierungschef am 22. Januar den umstrittenen Ram-Tempel eingeweiht hatte“, an die Spitze zu gelangen, „der auf den Ruinen der alten Babri-Moschee errichtet wurde“, erklärt Le Monde.
„Von nun an ist Narendra Modi nicht mehr die göttliche Verkörperung des Volkes. Heute ist er nur ein Politiker wie jeder andere, der von den Wählern auf ein normales Maß zurückgestutzt wurde“, fasst der Politologe Pratab Bhanu Mehta in der Zeitung The Indian Express zusammen.
Die Christen, die etwa zwei Prozent der indischen Bevölkerung ausmachen, atmeten erleichtert auf, und das aus gutem Grund: Hätte der BJP-Chef eine Zweidrittelmehrheit erhalten, hätte er sein Versprechen einlösen können, die Verfassung des Landes zu ändern, um die Vorherrschaft der Hindu-Religion zu verankern. Dies würde eine direkte und kurzfristige Bedrohung für religiöse Minderheiten darstellen.
Bis März 2024 hatten elf der 28 indischen Bundesstaaten Gesetze erlassen, die religiöse Konversionen unter Strafe stellten, und in den ersten 75 Tagen des Jahres wurden laut der Nachrichtenagentur Zenit 161 antichristliche Handlungen gemeldet.
(Quellen: Zenit/Le Figaro/Le Monde – FSSPX.Actualités)
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